COVID-19 in West- und Zentralafrika: Ein menschenrechtlicher Balanceakt

Beitragsbild: © Amnesty International (Photo:Richard Burton)

Die Corona-Pandemie breitet sich immer weiter in der Welt aus. In den letzten Wochen wurden auch in West- und Zentralafrika immer mehr bestätigte Fälle von Infizierten und auch Todesfälle bekannt. Mittlerweile sind alle Länder der Region betroffen und stehen angesichts der meist miserabel ausgestatteten Gesundheitssysteme vor großen Herausforderungen: Intensivbetten und Beatmungsgeräte stehen nur für einen Bruchteil der Bevölkerungen zur Verfügung. Zwar können Länder wie Guinea, Liberia und Sierra Leone in gewisser Weise aus ihrer Erfahrung im Kampf gegen die Ebola-Epidemie 2014/15 profitieren, doch sind die Gesundheitssysteme nach wie vor extrem schwach.

Einige Regierungen haben deshalb sehr früh reagiert und zum Teil drastische Maßnahmen ergriffen, um die Ausbreitung des Virus zu verhindern. Amnesty International ist besorgt, dass die Maßnahmen zum Gesundheitsschutz als Vorwand genutzt werden, um andere Rechte einzuschränken.
In einigen Ländern wie zum Beispiel Togo und Nigeria werden Ausgangssperren mit exzessiver Gewalt durchgesetzt, sodass die Menschen mitunter weitaus mehr Angst vor den Sicherheitskräften haben als vor dem Virus selbst. Zudem können sich durch die Ausgangsbeschränkungen Bewohner informeller Siedlungen nicht mehr mit Wasser und Lebensmitteln versorgen.

Ein weiteres Problem stellt der Schutz von Inhaftierten dar, da in den meisten Ländern in West- und Zentralafrika die Haftanstalten stark überbelegt sind (im Tschad beispielsweise um 232%, in Kamerun ca. um 230%, in Benin um 151%). Bei extrem unhygienischen Bedingungen bestand bereits vorher ein nur eingeschränkter Zugang zu medizinischer Versorgung (z.B. in Nigeria, Niger, Burkina Faso, Sierra Leone, Tschad, Côte d’Ivoire). Dies erhöht das Risiko der Ausbreitung von Krankheiten wie Tuberkulose, die bereits zu vielen Todesfällen in Gefängnissen geführt haben (z.B. in Tschad, Kamerun). Ein Ausbruch von COVID-19 in einem Gefängnis hätte somit massive Folgen. Besuche in Gefängnissen vollkommen zu verbieten (wie z.B. in Niger, Togo, Tschad) und somit auch den Zugang zu einem Rechtsbeistand und damit zu einem fairen Gerichtsverfahren, stellt jedoch ebenso eine Verletzung internationalen Rechts dar. Amnesty International fordert in einer aktuellen Petition den Schutz der Inhaftierten und die Freilassung aller gewaltlosen politischen Gefangenen in West- und Zentralafrika.

Ebenfalls stark betroffen sind (Binnen-)Flüchtlinge und Migrant_innen, unter anderem in Burkina Faso, Niger, Nigeria, Tschad und Mali, da sie oft keine feste Unterkunft haben und die Wasser-, Gesundheits- und Hygieneversorgung in den Flüchtlings- und Isolations-Sammellagern noch schlechter ist, als für den Rest der Bevölkerung.
Gerade in solch schwierigen Zeiten sind die Menschen darauf angewiesen, Informationen über die sich ständig verändernde Lage zu erhalten. Immer wieder fürchten jedoch Regierungen einen kritischen Blick auf ihren Umgang mit der Krise und gehen gegen Journalist_innen, Menschenrechtsverteidiger_innen und Regierungskritiker_innen vor. So wurde im Niger ein Journalist verhaftet, der über das Virus berichtete. Weitere Berichterstatter_innen wurden durch die Polizei eingeschüchtert.

Die Liste der Menschenrechtsverletzungen in West- und Zentralafrika in Zeiten von Corona ist lang und wir fordern die Regierungen auf, auch in Krisenzeiten alle Menschenrechte zu schützen – vom Recht auf Gesundheit, Wasser und Nahrung, bis zum Recht auf Meinungs-, Presse- und Versammlungsfreiheit sowie dem Recht auf ein faires Gerichtsverfahren und Zugang zur Justiz.

Weiterführende Informationen zu den einzelnen Ländern finden sich unter den Länderinfos dieser Homepage.

30. April 2020