Niger

Hintergrund

Niger ist ein frankophoner Staat in der Sahel-Zone, der keinen Meereszugang besitzt. Im Land existieren beträchtliche Uran-Vorkommen, die z.T. von französischen Firmen, vor allem vom Areva-Konzern in der Nähe von Arlit, abgebaut werden. Deutschland bezieht den größten Teil seines Uran-Bedarfs von dort. Areva streitet sich seit Jahren mit der nigrischen Regierung um eine Gewinnbeteiligung des Staates. Rebellen haben in den letzten Jahren immer wieder Anschläge und Entführungen in Arlit durchgeführt.

Anfang 2018 ist Niger aus der Initiative zur Transparenz im rohstoffgewinnenden Sektor (EITI) ausgetreten, deren Ziel es ist, die Transparenz der Mitgliedsstaaten insbesondere in Bezug auf die Förderung von Bodenschätzen und die dadurch bedingten staatlichen Einnahmen zu gewährleisten. Im März 2017 hat die Regierung aus Sicherheitsgründen Goldminen geschlossen, was die Versiegelung einer lukrativen Einnahmequelle bedeutete.

Niger gehört zu den ärmsten Staaten Afrikas, regelmäßig auftretende Nahrungskrisen treffen die Bevölkerung hart. Etwa 82 % der Bevölkerung lebten 2017 in absoluter Armut. Niger hat das größte Bevölkerungswachstum der Welt, eine nigrische Frau hat im Schnitt 7,6 Kinder. Schätzungen zufolge wird sich die Bevölkerungszahl bis 2050 von 17,3 Millionen auf 78 Millionen erhöhen, was massive Probleme für die Ernährung des schon jetzt sehr armen Staates führen würde, der dazu immer mehr unter dem Klimawandel und der Ausbreitung der Wüste zu leiden hat. In 2020 hat sich durch die Corona-Pandemie die schon länger existierende Ernährungskrise im Niger noch einmal dramatisch  verschärft. Welche Konsequenzen die Pandemie langfristig hat lässt sich im Moment nur schwer einschätzen.

Niger wurde im Jahr 1960 unabhängig und erlebte seitdem zahlreiche andauernde Machtkämpfe, Militärputsche und Aufstände. Viele wichtige Menschenrechte sind zwar formal in der Verfassung festgeschrieben, Menschenrechtsverstöße kommen aber gerade in den letzten Jahren immer häufiger zum Vorschein. Die Regierung und die Justiz ist bemüht gegen Probleme wie Sklaverei, Kinderarbeit und Gewalt gegen Frauen vorzugehen, der Erfolg dieser Maßnahmen ist jedoch begrenzt.

Mahamadou Issoufou, zuvor langjähriger Oppositionsführer, kam im März 2011 durch demokratische (?) Wahlen an die Macht. Er löste eine Interimsregierung von Militärs ab. Im März 2016 wurde Issoufou mit sehr großer Mehrheit für eine weitere Amtszeit wiedergewählt. In den Monaten nach den Wahlen wurden immer wieder Oppositionspolitiker und Persönlichkeiten der Zivilgesellschaft willkürlich festgenommen. Positiv ist dagegen hervorzuheben, dass Issoufou nach Beendigung seiner zwei verfassungsrechtlich vorgeschriebenen Amtszeiten nicht noch einmal angetreten ist. Im Februar 2021 kam es zu einer Stichwahl, wobei sich Mohamed Bazoum zum Sieger erklärte. Dieses Ergebnis wird von der Opposition in Frage gestellt. Nach der Verkündigung der vorläufigen Wahlergebnisse kam es in verschiedenen Städten Nigers zu heftigen Unruhen, bei denen mindestens zwei Personen starben. Im Dezember 2020 kam es zu einer Festnahmewelle gegen politisch aktive Personen. Bazoum war ab 2015 Innenminister in Niger und in dieser Funktion verantwortlich für eine Welle von willkürlichen Verhaftungen von Oppositionellen im Jahr 2017.

Nigers Territorium – dünn besiedelt, viel Savanne und Wüste – ist seit etlichen Jahren Schauplatz der Aktivitäten von AQIM, einer islamistischen Untergrundorganisation, die al-Qaida nahe steht. U.a. kommt es immer wieder zu Entführungen von Menschen, die als Geiseln Lösegeld einbringen. Insbesondere seit der Niederschlagung des islamistischen Aufstands in Nordmali durch französische Truppen in den ersten Monaten von 2013 haben sich offenbar zahlreiche Rebellen aus Mali nach Niger zurückgezogen. Dies gilt vor allem für die Organisation Mujao.

Niger hat bei der Rebellenbekämpfung enge Kontakte mit Frankreich und den USA. Seit Ende 2012 operieren US-Drohnen über dem Territorium. Französische Spezialkräfte greifen immer wieder bei Entführungen ein. Nigers Regierung steckt sehr viel Ressourcen in den Militär- und Sicherheitssektor – auf Kosten der Investitionen in Gesundheit, Bildung usw. Seit 2009 wird der Aufbau von Polizeistrukturen mit Mitteln der GIZ bzw. vom Auswärtigen Amt und der EU unterstützt.

Niger ist den wichtigsten UN-Menschrenrechtsabkommen beigetreten, unter anderem dem Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte, dem Internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte, dem Übereinkommen gegen Folter, dem Übereinkommen über die Rechte des Kindes und das Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau.

Im Juli 2023 kam es zu einem Putsch gegen die gewählte Regierung. Die nigrische Armee entmachtete den Präsidenten Mohamed Bazoum, verhängte zeitweise eine landesweite Ausgangssperre und erklärte alle Verfassungsorgane für suspendiert. Als Gründe für den Staatsstreich nannte die Militärjunta Sicherheitsbedenken und “schlechte Regierungsführung” des bisher amtierenden Präsidenten. Am 28. Juli erklärte sich General Abdourahmane Tiani zum Präsidenten des Rates und damit zum Staatsoberhaupt von Niger.

Menschenrechtssituation

Allgemein

Seit Gründung des Staates im Jahr 1960 gibt es Schwierigkeiten mit der im Norden lebenden Tuareg-Minderheit: Die Unterdrückung von Aufständen der MNJ (Mouvement des Nigériens pour la Justice) hat immer wieder zur Verletzung von Bürgerrechten im ganzen Land geführt. So wurde z.B. der Journalist Ibrahim Manzo Diallo im Oktober 2007 wegen seiner Berichterstattung drei Wochen lang inkommunicado gefangen gehalten. Die MNJ ihrerseits verübte blutige Anschläge gegen Militärposten und nahm zivile und militärische Geiseln. Im Oktober 2009 wurde allerdings ein Friedensabkommen zwischen der Regierung und Tuareg-Organisationen unterzeichnet. Insbesondere seit dem Antritt von Präsident Issoufou wird viel Geld ins Tuareg-Gebiet investiert, um es zu entwickeln.

Im Januar 2014 zerstörte ein von der politischen Opposition aufgehetzter Mob zahlreiche katholische Einrichtungen im Land – aus Protest gegen Artikel in der französischen Satirezeitschrift Charlie Hebdo – und gegen die engen Beziehungen, die Präsident Issoufou mit Frankreich unterhält.

Insgesamt wurde Niger lange Zeit von westlichen Staatsführern als Musterbeispiel für Demokratie in Westafrika gelobt, obwohl Menschenrechtsaktivisten und NGOs immer wieder darauf hinweisen, dass Niger wegen der zahlreichen Festnahmen und Repressionen gegen Medien und Journalisten weit davon entfernt ist ein funktionierender Rechtsstaat zu sein. Die Meinungs- und Versammlungsfreiheit sind klar eingeschränkt. In letzter Zeit kam es außerdem vermehrt zu Menschenrechtsverletzungen von Sicherheitskräften im Zusammenhang des Kampfes gegen den Terror.

Die letzten Präsidentschaftswahlen, die Dezember 2020 im Niger stattfanden, waren weitesgehend friedlich, allerdings gibt es Berichten von Wahlbetrug aus den meisten Regionen Nigers. Unter anderem sind Wahlzettel verschwunden, teilweise waren nicht genug Materialien für die Wahl vorhanden und teilweise fand eine Wahlbeeinflussung statt, indem Personen vor den Wahllokalen Stimmen gekauft haben oder versuchten Wartende noch kurz vor der Wahl zu überzeugen. Die Wahlbeteiligung war mit fast 70 Prozent dafür sehr hoch, was ein steigendes Interesse der Bevölkerung an politischen Prozessen aufzeigt. Im Feberuar 2021 findet eine Stichwahl statt.

Einschränkung der Pressefreiheit und Meinungsfreiheit

Auch wenn Niger seit 2010 ein vergleichsweise fortschrittliches Pressegesetz hat, nach welchem Vergehen von Journalisten nur mit Geldstrafe geahndet werden dürfen, kommt es immer wieder vor, dass dieses Gesetz umgegangen wird, indem nach anderen Vorwürfen gegen die Journalisten gesucht wird. Ein populäres Beispiel, das für viel Aufsehen sorgte, war Baba Alpha, der erst für ein Jahr wegen angeblicher Fälschung seines Passes festgehalten und dann nach Mali abgeschoben wurde.

Mehrere weitere Journalisten wurden 2014 wegen kritischer Berichterstattung vorübergehend in Polizeigewahrsam genommen – z.T. mit Anklageerhebung gegen sie. Zwei Zeitungen wurden 2015 zeitweise geschlossen. Mehrfach wurden Journalisten der Zeitung Le Courrier aus politischen Gründen in Haft genommen – meist wegen Verbreitung angeblich geheimer Dokumente, die politische Missstände offenbarten.

Auch in den Jahren 2016, 2017 und 2018 kam es immer wieder zu Verhaftungen von Journalisten und Aktivisten, die die Regierung kritisieren oder versuchen Fälle von Betrug und Korruption in Regierungskreisen aufzudecken. Besonders im Zusammenhang mit dem umstrittenen Gesetz 2015-36 ist eine öffentliche Meinungskundegabe nur schwer möglich. Außerdem werden Bloggern und Journalisten die Telefonkarten entfernt oder gesperrt, einige wurden wie Baba Alpha aus dem Land verwiesen. Im Mai 2017 wurde Insar Abdourahmane, ein Mitglied der Menschenrechts-organisation Cadre d’Action pour la Démocratie et les Droits de l’Homme, festgenommen und länger als 20 Tage in Agadez inhaftiert. Er wurde wegen „Anstiftung zur Gewalt“ zu einer sechsmonatigen Bewährungsstrafe verurteilt, weil er die Behörden auf Facebook kritisiert hatte. Dies sind nur einige exemplarische Beispiele, weitere finden sich in den Jahresberichten.

Im Zusammenhang mit den Protesten im März 2018, wurde auch ein Fernsehsender ohne entsprechende schriftliche Unterrichtung oder polizeiliches Mandat geschlossen und die Journalisten wurden davon abgehalten das Gebäude zu betreten.

In Reaktion auf die Ausbreitung von Covid-19 wurde Artikel 31 eines Gesetzes für die Bekämpfung von Cyberkriminalität aus dem Jahr 2019, welches es verbietet Informationen in Umlauf zu bringen und zu verbreiten, die geeignet sind die öffentliche Ordnung zu gefährden, benutzt um Informationen über die Ausbreitung der Pandemie zu unterdrücken. Während bei jeder Einschränkung überprüft werden muss, ob diese erforderlich und angemessen ist, darf der Artikel 39 des Gesetzes nicht dazu benutzt werden jede Information über das Virus zu unterdrücken. Im März und April wurde aber insgesamt ein Dutzend Personen verhaftet, obwohl sie nur ihr Recht auf Meinungsfreiheit ausübten. So wurde zum Beispiel Amina Maiga am 7. Mai 2020 zu drei Monaten Haft und einer Geldstrafe verurteilt, da sie die Maßnahmen der Regierung in einer privaten Whatsapp-Nachricht kritisiert hat.  Eine Reihe von weiteren Personen wurden ebenfalls für wenige Tage oder Monate inhaftiert, da sie die Maßnahmen kritisierten oder auf Fälle von Korruption aufmerksam machten. Allen wurde die Störung der öffentlichen Ordnung durch die Verbreitung von falschen Informationen vorgeworfen.

Am 5. März 2020 wurde der Journalist Mamane Kaka Touda inhaftiert, der über einen Corona-Verdachtsfall in einem Krankenhaus in Niamey berichtete. Auch wenn das Untersuchungsergebnis negativ war, was Touda auch berichtete, wurde er wegen „Verbreitung von Informationen, die zur Störung der öffentlichen Ordnung führen“ in Untersuchungshaft genommen. Kritiker werfen den Verantwortlichen vor das Corona-Virus als Vorwand zu nehmen, um Druck auf kritisch berichtende Journalisten auszuüben. Auch weitere Journalisten und Ärzte, die über das Virus berichteten, wurden auf die Wache bestellt und teilweise auch kurz in Untersuchungshaft genommen, nach wenigen Tagen aber wieder freigelassen. Eine Auflistung und Einordnung der Verhaftungen und Einschränkungen auf der Basis des Gesetzes gegen Cyberkriminalität gibt es auf der französischen Amnesty-Seite.

Im Juni 2020 wurde eine Journalistin, Samira Sabou, festgenommen, nachdem sie auf Facebook ihre Meinung zu den Ermittlungen der Untreue-Affäre des Verteidigungsministeriums äußerte. Sie wurde inzwischen wieder freigelassen.

Im Mai 2020 beschloss die Nationalversammlung ein Gesetz, das die digitale Massenüberwachung von privaten Nachrichten erlaubt, um die nationale Sicherheit zu schützen. Dieses Gesetz hat das Potential die Meinungsfreiheit und die Persönlichkeitsrechte der nigrischen Bevölkerung völlig zu untergraben. Es existiert keine unabhängige Stelle, die die Ausführung des Gesetzes überwachen und gegebenenfalls Überschreitungen sanktionieren könnte.

Nach der Verkündigung der vorläufigen Wahlergebnisse kam es zu heftigen Unruhen. Dabei wurden auch mehrere JournalistInnen angegriffen und verletzt. Über 400 Personen, vor allem Politiker und Unterstützer der Opposition, wurde festgenommen. Am 24. Februar 2021 wurde das Internet für mehrere Wochen abgeschaltet. Die Angriffe auf die JournalistInnen und die Abschaltung des Internets stellen Eingriffe in die Meinungs- und Pressefreiheit dar. Auch im Laufe des Jahres 2021 kam es zu Einschüchterungsversuchen und Verurteilungen von JournalistInnen. Moussa Aksar wurde zu einer hohen Geldstrafe verurteilt. Samira Sabou wurde erneut attackiert, nachdem sie ihre alten Berichte erneut postete.

Laut Reporter ohne Grenzen (RSF) kommt es seit dem Militärputsch Ende Juli 2023 zu einem verstärkten Vorgehen gegen Medienschaffende. Immer wieder werden Journalistinnen und Journalisten angegriffen und es kommt öfters zu Einschränkungen der Pressefreiheit.

Am 30.09.2023 ist die nigrische Journalistin und Bloggerin von unbekannten Männer entführt worden und war mehrere Tage verschwunden. Am 13.10.2023 wurde bekannt, dass Sabou für acht Tage von der Kriminalpolizei festgehalten worden war. Sie wurde vorläufig wieder freigelassen. Der Vorwurf lautete darauf, dass sie Daten veröffentlicht hätte, die die öffentliche Ordnung stören könnten.

Einschränkung der Versammlungsfreiheit

Im April 2017 fanden mehrere große Demonstrationen von Studenten statt, die von der Polizei gewaltsam aufgelöst wurden. In diesem Zusammenhang wurden mindestens 300 Studenten festgenommen, Dutzende Demonstranten und Sicherheitskräfte wurden verletzt und ein Student getötet, wobei unklar ist wie es zu dem Tod kam. Es gibt Hinweise darauf, dass viele der festgenommenen Studenten misshandelt und die meisten ohne Anklage einige Tage später wieder frei gelassen wurden. Ein Journalist, der eine Demonstration zusammen mit einem Kameramann filmte, wurde von einer Sicherheitskraft beleidigt und geschlagen.

Hunderte Menschen werden inhaftiert und strafrechtlich verfolgt, weil sie ihre Rechte auf Meinungs- und Vereinigungsfreiheit ausgeübt hatten. Bei einigen von ihnen handelte es sich um gewaltlose politische Gefangene. Die Sicherheitskräfte gingen mit exzessiver Gewalt gegen Demonstrierende vor.

Im Januar 2018 trat das neue Finanzierungsgesetz in Kraft, das neue Steuern auf Wohnungen, Strom etc. vorsieht. Im März hielten zivilgesellschaftliche Organisationen eine friedliche Demonstration gegen das Gesetz ab, obwohl diese verboten worden war. 23 Personen wurden im Zusammenhang mit der Protestveranstaltung festgenommen, obwohl sie teilweise nicht einmal an den Demonstrationen teilgenommen haben. Auch wenn mehrere Aktivisten im Juli 2018 schließlich nach nahezu vier Monaten Haft freigelassen wurden, kam es immer wieder zu Festnahmen rund um diese Demonstration, wobei ein Menschenrechtsanwalt auch zu einer einjährigen Freiheitsstrafe verurteilt wurde. Viele Prozesse laufen noch, Demonstrationen wurden verboten und einige freigelassene Demonstranten wurden erneut festgenommen oder in ihren Freiheiten eingeschränkt. Im September 2018 wurde zum ersten Mal wieder eine friedliche Demonstration in Niamey erlaubt, was als positives Zeichen gewertet wird, auch wenn parallel öffentliche Konferenzen von einigen der Aktivisten in Agadez verboten wurden.

Am 11. Februar 2019 wurden fünf der nach einer viermonatigen Präventivhaft freigelassenen Aktivisten zu drei Monaten Haft auf Bewährung verurteilt, weil sie an verbotenen Demonstration teilgenommen und sie organisiert haben. Der letzte Menschenrechtsaktivist, Sadat Illiya Dan Malam, wurde erst nach 19 Monaten unrechtmäßiger Haft im November 2019 freigelassen.

Weiterhin fand am 15. März 2020 in Niamey eine Demonstration statt, bei der mindestens drei Personen starben, nachdem Sicherheitskräfte versuchten die Beteiligten mit Tränengas auseinanderzutreiben und es zu einem Brand auf einem Markt kam.  Im Rahmen dieser Demonstrationen kam es auch zu mehreren Verhaftungen, unter anderem von Moussa Tchangari, Mounkaila Halidou, Seyni Djibo Nouhou Arzika, Maikoul Zodi, Moudy Moussa und Sani Cheakaraou. Die meisten der Aktivisten wurden freigelassen, im Juni 2020 befanden sich aber noch 3 von ihnen in Haft, wodurch ihre Zeit in Gefangenschaft die 100-Tage-Marke überschritt. Seit September 2020 sind auch die letzten Personen frei.

Insgesamt wurden vor allem in den Jahren 2018 und 2019 viele Versammlungen verboten. Dabei werden immer wieder Sicherheitsbedenken als Begründung angeführt, da die Versammlungen ein Ziel von terroristischen Anschlägen werden könnte und die Polizei nicht in der Lage wäre einen Angriff zu verhindern. Im März 2020 wurden außerdem Versammlungen mit über 1000 Teilnehmenden mit dem Verweis auf das Corona-Virus verboten. Im Dezember 2021 wurden 5 Mitglieder der zivilgesellschaftlichen Gruppe Tournons La Page-Niger für wenige Tage festgenommen, nachdem sie eine Veranstaltung zu der Situation der Menschenrechte in Niger organisiert hatten.

Boko Haram/ ISGS

Die nigerianische Terrororganisation Boko Haram operiert im Süden und Südosten Nigers, vor allem in der Region Diffa, mit Selbstmordanschlägen, bewaffneten Überfällen und anderen Gewalttaten. Die zivile Bevölkerung gerät immer wieder zwischen zwei Feuer – die Terroristen und den Zugriff der Sicherheitsbehörden auf Terroristenjagd. Vor allem 2015 kam es zu wiederholten Fällen von Zwangsvertreibungen mit Todesfolge, Tötungen und Einschränkungen der Bewegungsfreiheit an mehreren Orten – alles dies z.T. legitimiert durch regionales Notstandsrecht. Moussa Tchangari, Generalsekretär einer zivilgesellschaftlichen Organisation, wurde im Mai 2015 vorübergehend festgenommen, weil er Lebensmittel an einige Dörfer in Diffa ausliefern wollte. Im Januar und Mai 2015 deportierte die Armee Tausende von Flüchtlingen aus Nigeria, weil sie angeblich mit Boko Haram zusammen arbeiteten.

Ende 2016 wurde ein Deradikalisierungs- und Reintegrationsprogramm durch die Regierung gestartet, die Kämpfern, die die Boko Haram verlassen haben, helfen soll, ein neues Leben aufzubauen. Im Juli 2017 waren 150 ehemalige Mitglieder von Boko Haram in diesem Programm. Wegen der schlechten Bedingungen im ursprünglichen Camp in Diffa wurde die Gruppe nach einem Fluchtversuch in ein ehemaliges Flüchtlingslager in Goudoumaria gebracht. Auch in diesem Lager mangelt es jedoch an psychologischer Betreuung und Unterricht.

Boko Haram und andere bewaffnete Gruppen verübten 2017 mindestens 70 Anschläge. Die Regierung verhängte im März 2017 den Ausnahmezustand über Gebiete im Westen nahe Mali. In der Region Diffa wurde der Ausnahmezustand 2017 verlängert.

Am 2. März 2017 begann der Prozess gegen mehr als 700 Personen, denen Unterstützung von Boko Haram vorgeworfen wurde. Die meisten waren bereits 2013 festgenommen worden. Soldaten erschossen im Juli 2017 an der Grenze zu Nigeria 13 Personen, die sie fälschlicherweise für Mitglieder einer bewaffneten Gruppe gehalten hatten. Die humanitäre Lage verschärfte sich aufgrund des bewaffneten Konflikts. Nach Schätzungen der Vereinten Nationen benötigten 2,2 Mio. Menschen humanitäre Hilfe.

Auch 2018 gab es immer wieder Kämpfe zwischen Kämpfern der Boko Haram und Nigers Armee, bei denen es auch immer wieder zu Toten kommt. Außerdem kommt es im Süden Nigers, vor allem in der Region Dilla, immer  wieder zu Terroranschlägen, wie zum Beispiel der Doppelanschlag in der Nähe von N´Guimi mit 10 Toten. Zwischen Januar und August 2018 gab es etwa 94 bewaffnete Zwischenfälle mit Boko Haram mit 72 Toten. In der Grenzregion zwischen Niger und Mali kamen allein zwischen November 2018 und März 2019 an die 500 Menschen durch Kämpfe ums Leben.

Im Grenzdreieck zwischen Niger, Nigeria und dem Tschad gibt es aufgrund der Angriffe der Boko Haram große Flüchtlingsströme, die hin-und herwandern. Viele kommen dabei auch bei der lokalen Bevölkerung unter.

Die Bewegung für Justiz und Wiederaufbau im Niger“, kurz MJRN ist eine Rebellengruppe, die im Dreiländereck zwischen Niger, Libyen und dem Tschad aktiv ist. Bevor die Auseinandersetzungen jedoch gewaltsam werden konnten, hat sich die nigrische Regierung auf Friedensgespräche eingelassen und ist auf Forderung der Rebellengruppe eingegangen.

Im Laufe des Jahres 2019 hat sich die Situation im Süden des Landes weiter verschärft, immer mehr Menschen flohen innerhalb Nigers an andere Orte, um den Kämpfen um Boko Haram zu entkommen. Im Südwesten des Landes, in der Region Tillabéri, wird die Gruppe ISGS (Islamic State in Greater Sahara)  immer aktiver. Diese Gruppe tötete wiederholt Zivilisten, entführte Personen und überfiel Dörfer und Fahrzeuge.  Deswegen, aber auch aufgrund der Desertifikation und wirtschaftlichen Problemen sind immer mehr Personen innerhalb ihres eigenen Landes heimatvertrieben, im Juli 2019 waren es etwa 77.000.

Knapp 250.000 Heimatvertriebene befanden sich im Juli 2019 in der Region Diffa, davon über 100.000 aus dem Niger, der Rest kommt aus den Nachbarländern, vor allem aus Nigeria. Die Situation verschlimmert sich seit 2015 und wurde auch im Laufe des Jahres 2019 bisher nicht besser. 2015 wurde der Notstand in der Region ausgerufen, der den Behörden weitreichende Eingriffsbefugnisse eröffnet. Außerdem wurden viele Tätigkeiten wie zB Fischerei oder Agrikultur verboten, um der Boko Haram die finanziellen Quellen zu entziehen. Durch diese Verbote wird aber auch in die sozial-ökonomischen Rechte der Bevölkerung von Diffa eingegriffen, außerdem entstanden große Probleme bei der Lebensmittelsicherheit in der Region. Es kam zwischen 2015 und 2018 zu einigen Zwischenfällen, bei denen Menschenrechte durch die nigrischen Sicherheitskräfte verletzt wurden, unter anderem gibt es Berichte von Folter, Hinrichtungen und Vergewaltigungen. So wurden zum Beispiel im Juli 2017 14 Personen, die auf einem Feld arbeiteten, haben von Uniformierten erschossen. Der Fall wurde weder untersucht noch aufgeklärt. Da die Sicherheitskräfte nicht in der Lage sind die Situation unter Kontrolle zu bringen, haben viele Menschen das Gefühl in einer rechtsfreien Zone zu leben. Auch werden immer wieder Personen vor Gericht gestellt und verurteilt, die angeblich Mitglieder von Boko Haram waren, obwohl sich eine solche Mitgliedschaft oft nicht beweisen lässt. Vermutlich sind daher auch Menschen betroffen, die vielmehr vor der Boko Haram flohen.

Außerdem haben einige bewaffnete Gruppen die Kontrolle über einige der profitablen Goldminen im Niger erlangt, die sie benutzen um ihre Aktionen zu finanzieren. Die Regierung des Nigers erscheint relativ hilflos in Hinblick auf diese Aktivitäten, arbeitet aber an Maßnahmen, die gegen die Gruppen ergriffen werden können. In 2017 schlossen die nigrischen Kräfte beispielsweise eine Mine im Djado-Gebiet, um die bewaffneten Gruppen zu vertreiben, was allerdings nur dazu führte, dass die meisten der bewaffneten Personen auf andere Gebiete auswichen und die lokale Bevölkerung unter dem Wegfall der Geldquelle zu leiden haben.

In Niger waren die Zivilbevölkerung und Mitarbeitende von humanitären Hilfsorganisationen im Jahr 2020 wieder verstärkt Ziel der Angriffe bewaffneter Gruppen wie dem Islamischen Staat in der Großsahara (ISGS). Im Jahr 2020 wurden in der Region Tillaberi auch mehrmals Mitarbeitende von Hilfsorganisationen entführt oder getötet. Auch im Jahr 2021 eskalierte der Konflikt weiter. ISGS führte eine Reihe von weiteren Attacken aus, bei denen auch immer wieder ZivilistInnen starben. Die meisten Angriffe finden dabei weiterhin in der Region Tillabéri statt. Bestätigt sind Angriffe in den Dörfern Tchoma Bangou and Zaroum Darey (103 getötete Zivilisten), bei Banibangou (53 Tote) und  Tillia (137 Tote, darunter viele Geflüchtete aus Mali). Andere Angriffe können nicht mit der Sicherheit den Dschihadisten zugeordnet werden. Unter den getöteten Menschen waren auch mindestends 60 Kinder.

Gewaltakte der Sicherheitskräfte

Im Kampf gegen die Boko Haram begehen nach verschiedenen Berichten auch die Sicherheitskräfte Nigers immer wieder Menschenrechtsverletzungen. Wiederholt gibt es Vorwürfe, dass die Anti-Terror-Einheiten teilweise Verdächtige ohne Verhandlung hinrichten würden. Da sich manchmal aber auch andere Gruppen als Sicherheitskräfte oder Polizisten ausgeben, sind diese Vorwürfe jedoch oft schwer zu überprüfen.

Im März und April 2020 wurden innerhalb von wenigen Tagen mehrere 100 Personen von (vermeintlichen) Sicherheitskräften in Haft genommen, wobei über 100 Personen seitdem nicht mehr gesehen wurden und die Behörden gegenüber den Angehörigen nicht in der Lage sind den Aufenthaltsort zu bestimmen. Infolgedessen befürchten die Angehörigen, dass diese Personen als Terroristen eingeordnet und hingerichtet wurden. Mehr Informationen zu diesen Vorfällen findest du im Bericht: “They executed some”, der sich weiter unten auf dieser Seite befindet.

Im September 2020 stellte die nationale Menschenrechtskommission des Landes fest, dass die Armee für 72 der verschwundenen Personen verantwortlich ist und diese vermutlich ohne Gerichtsverfahren exekutiert wurden. Die Leichen der 72 Personen waren später in 6 Massengräbern gefunden worden. Das Schicksal der restlichen Personen ist noch immer unklar. Als Reaktion des Staates gab es zumindest einige Versuche die verantwortlichen Beamte zur Rechenschaft zu ziehen, doch bis Ende 2021 haben diese noch keine konkreten Ergebnisse hervorgebracht. Zur Prävention von Gewalteskalationen werden Menschrenrechtstrainings durchgeführt, über deren Inhalt und Umfang aber wenig bekannt ist. Deutschland ist an diesen Trainings auch teilweise beteiligt.

Im November 2021 wurde ein französischer Militärkonvoi in Tera von Protestierenden gestoppt. Der Protest eskalierte und drei Personen wurden von den Soldaten erschossen, um die Menge aufzulösen. Auch diese Vorfall wird untersucht.

In den Jahren 2022 und 2023 verschlechterte sich die Sicherheitslage weiter. Immer wieder kommt es zu Angriffen auf die Zivilbevölkerung. In einigen Fällen werden diese auch Sicherheitskräften oder Milizen zugeschrieben. Eine genaue Zuordnung ist aber schwierig, da die Fälle oft nicht weiter verfolgt werden. In Niger wurden bei einem Luftangriff der nigerianischen Armee in der Grenzregion Maradi im Februar sieben Kinder getötet. Der nigrischen Armee wurde vorgeworfen, im Oktober bei Luftangriffen rechtswidrig Personen getötet zu haben, die in der Nähe von Tamou Gold schürften.

Sklaverei

Sklaverei ist in Niger ein weitverbreitetes Phänomen geblieben, obwohl diese Praxis seit der Einführung des neuen Strafrechts im Jahre 2003 unter Strafe gestellt wurde. Niger war das erste Land überhaupt, das im Jahr 2015 das Protokoll zum Zwangsarbeitsabkommen der ILO gegen moderne Sklaverei unterzeichnete. Insgesamt kooperiert Niger sehr viel auf diesem Gebiet, unter anderem auch mit dem entsprechenden Sonderberichterstatter der UN.

Vor allem rund um die Minen und Bergarbeiten im Niger gibt es den starken Verdacht Sklaverei und der Ausbeutung, Maßnahmen gegen diese Probleme gestalten sich nach Aussagen der Regierung von Niger jedoch sehr schwierig.

Wie viele Sklaven es tatsächlich in Niger gibt, ist schwer bis gar nicht feststellbar. Die Bertelsmann Stiftung ging in ihrer Schätzung von 43.000 betroffenen Personen aus.

Bedingungen in Hafteinrichtungen

Seit dem Militärputsch von Februar 2010 blieben etliche Angehörige des alten Regimes viele Monate ohne formelle Anklageerhebung in Haft. Dies gilt auch für Militärs, denen Verschwörung gegen die neue Zivilregierung zur Last gelegt wurde. Mutmaßliche Mitglieder von AQIM und Boko Haram (s. oben) werden offenbar von den Sicherheitskräften gefoltert, um Geständnisse zu erpressen. Abgesehen davon sind viele Gefängnisse überfüllt, teilweise sind nach Berichten von ehemaligen Gefangenen, Anwälten und Besucher drei bis vier Mal so viele Personen in einer Haftanstalt als vorgesehen, auch wenn nach offiziellen Angaben die Gefängnisse insgesamt nicht überbelegt sind. 2014 sind einige Gefangene auch wegen fehlendem Zugang zu medizinischer Hilfe gestorben.

Im Zuge der Präventionsmaßnahmen gegen die Ausbreitung von Covid-19 wurden im März 2020 über 1500 Gefangene aus den Gefängnissen entlassen, unter anderem auch Oppositionsführer Hama Amadou und einige weitere politische Gefangene. Viele Menschenrechtsaktivisten wurden aber im Rahmen dieser Maßnahmen auch nicht frei gelassen und befinden sich immer noch in Haft. Außerdem wurde im März 2020 das Besuchsrecht für drei Monate ausgesetzt, ebenfalls als Teil der Covid-19-Prävention, sodass zu diesen Aktivisten kein regulärer Kontakt mehr besteht.  Weder die Familien noch die Anwälte haben daher Zugang zu ihnen. Inhaftierte Personen sind außerdem einem besonders hohen Risiko ausgesetzt mit Covid-19 anzustecken, weshalb der UN-Unterausschuss zur Verhütung von Folter auch alle Staaten aufgefordert hat alle Fälle von Untersuchungshaft zu überprüfen und Personen, die nicht wegen schwerer Verbrechen in Haft sitzen gegen Kaution freizulassen.

Todesstrafe

Niger hat die Todesstrafe zwar nicht abgeschafft, aber es gibt einen Hinrichtungsstopp. Die letzte Hinrichtung fand 1976 statt. Allerdings wurden im Jahr 2020 drei Personen zum Tode verurteilt. Auf der anderen Seite ließ der Präsident Issoufou Mahamadou am Unabhängigkeitstag auch einige Todesurteile in lebenslange Haftstrafen umwandeln. 2022 kam zu es zu einem Anstieg an Todesurteilen, 4 Personen wurden zu dieser Strafe verurteilt, die Zahl der Personen, die zum Tode verurteilt sind, hat sich damit auf 8 verdoppelt.

Rüstung

Niger hat die wichtigsten Abkommen zur Abrüstung und Rüstungskontrolle unterschrieben. Da die Lage sich bezüglich der Boko Haram in den letzten Jahren immer weiter verschlechterte und Niger keine eigene Rüstungsindustrie hat, wurden viele Rüstungsgüter importiert.

Auch Deutschland hat seit 2015 Rüstungsgüter im Wert von über 4 Millionen Euro in den Niger exportiert, hauptsächlich Flugkörperabwehrsysteme und militärische Geländewagen und LKW.  Allein Rüstungsexporte im Wert von 3,6 Millionen Euro fanden im Jahr 2018 im Rahmen der Ertüchtigungsinitiative der Bundesregierung statt.

Frauen- und Mädchenrechte

Niger hat bisher nicht die finalen Empfehlungen des Berichts aus dem Jahr 2019 des UN-Menschenrechtsausschusses umgesetzt, wonach die Abtreibungsgesetze geändert werden sollten, um einen sicheren Zugang zur Abtreibung für Frauen und Mädchen zu ermöglichen. Abtreibung wird in Niger noch immer stark kriminalisiert und ist nur in extremen Fällen erlaubt, wenn das Leben der Frau in großer Gefahr ist.

Auch wenn die Regierung einen Akt gegen weibliche Genitalverstümmelung erlassen hat, diese seit 2003 unter Strafe steht und es in den vergangen Jahren sehr viele Aktionen zur Aufklärung gab, gibt es immer noch viele Regionen in Niger, wo diese Praktiken durchgeführt werden. In den letzten Jahren gab es aber auch einige Gemeinschaften die die Praxis der Genitalverstümmelung von sich aus beendet haben.

Eine neue Welle an Gewalt gegen Mädchen und Frauen begann aufgrund des Erstarkens der islamistischen Gruppen im Land. Teilweise wurden sie, vor allem in der Tillabéri-Region, entführt und zwangsverheiratet. Ihr weiteres Schicksal ist unbekannt. Es gibt aus dieser Region auch Berichte über Frauen, die geschlagen wurden, da sie sich nicht richtig gekleidet haben. Im April 2021 wurden drei Frauen und Mädchen von Soldaten der G5-Truppe vergewaltigt. Eine Untersuchung der Vorfälle wurde begonnen.

Wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte

Der UN-Ausschuss für die Beseitigung der Diskriminierung der Frau äußerte sich 2017 besorgt darüber, dass 82 % der Bevölkerung in absoluter Armut lebten. Frauen litten besonders unter der unsicheren Ernährungslage in den ländlichen Regionen. Verantwortlich dafür waren u. a. ihr sozioökonomischer Status, die Auswirkungen des Klimawandels und die Rohstoffindustrie. Der Ausschuss kritisierte außerdem, dass zeitlich befristete Maßnahmen, die für mehr Geschlechtergerechtigkeit sorgen sollten, nicht ausreichend umgesetzt wurden. Dies betraf z. B. die Bereiche Beschäftigung, Bildung und Gesundheit.

Die humanitäre Lage verschärfte sich aufgrund des bewaffneten Konflikts. Nach Schätzungen der Vereinten Nationen benötigten 2,2 Mio. Menschen humanitäre Hilfe, davon 408000 Menschen allein in der Region Diffa. Schätzungsweise 1,8 Mio. Menschen waren von ernster Ernährungsunsicherheit betroffen. Mehr als 73 % der Kinder unter fünf Jahren und fast 46 % der Frauen im gebärfähigen Alter litten unter Blutarmut.

Besonders Kinder leiden unter dem bewaffneten Konflikt. Einige islamistische Gruppen versuchen gezielt Kinder und Jugendliche zu rekrutieren, andere Gruppen haben in den Jahren 2020/2021 unter anderem auch Kinder im Rahmen von Vergeltungsaktionen hingerichtet. Die Überlebenden leiden oft unter schweren physischen und psychischen Schäden. Schulen und andere Bildungseinrichtungen sind häufig Ziele von Angriffen dieser Gruppen. Allein in der Tillabéri-Region waren 377 Schulen aufgrund des Konflikts geschlossen, 100 mehr als noch Ende 2020. Damit waren über 30.000 Schülerinnen und Schüler von der Bildung abgeschnitten. Dies könnte diese Kinder wiederum empfänglicher für Rekrutierungsversuche der islamistischen Gruppen machen. Mehr Informationen zu dem Thema finden Sie hier. Nach Angaben von UNICEF, besucht etwa die Hälfte der Kinder zwischen 7 und 16 Jahren in Niger nicht die Schule.

Im Rahmen der Covid-19 Pandemie versäumte es die Regierung die GesundheitshelferInnen mit ausreichender Schutzausrüstung auszustatten, obwohl diese angekündigt hatte, zusätzlich Personen für diesen Bereich zu rekrutieren. Diese Einstellung ging aber nur schleppend voran. In einigen Regionen wurde auf der Grundlage des Notstandes die Benutzung von Motorrädern verboten, was dazu führte, dass Krankenhäuser und medizinische Hilfe für viele Personen aus entlegeneren Regionen nicht mehr so gut erreichbar waren. Auch das Gesundheitssystem in Tillabéri war teilweise Ziel von Angriffen durch islamistische Gruppen. Einige Gesundheitszentren mussten wegen Überfällen und Bedrohungen schließen.

Umweltrecht

Insbesondere rund um die Minen in Niger gibt es aufgrund der Folgen für die Umwelt immer ein hohes Konfliktpotenzial. Die Bevölkerung klagt immer wieder über die weitreichende Verwendung der knappen Wasserressourcen in der Industrie. Außerdem kommt es zu Verschmutzungen des Wassers und des Bodens in unmittelbarer Nähe der Minen. Bergbauunternehmen wie SOMINA wird vorgeworfen die Umweltschutzregeln bewusst nicht einzuhalten. Auch unabhängig von diesen Problemen, kommt es nach Berichten der Zivilgesellschaft zu immer mehr Spannungen vor dem Hintergrund der zunehmenden Wasserknappheit, auch zwischen Unternehmen und der lokalen Bevölkerung Nigers.

Auch die Verschmutzung durch Plastikmüll ist ein großes Problem im Niger. An den Folgen der Umweltverschmutzung sterben auch immer wieder Tiere, worunter insbesondere die Nomaden leiden, die von der Haltung dieser Tiere abhängig sind.

Umgang mit Migranten

Hintergrund

Die Transsahara-Flüchtlingsroute, die für westafrikanische Flüchtlinge die mit Abstand am meisten genutzte ist, führt durch Niger. Ende 2015 ging man von 115.000 Ausgewanderten aus Nachbarländern in Niger aus – vor allem aus Nigeria und Mali. Weitere ca. 100.000 Binnenflüchtlinge, vor allem wegen des Konfliktes mit Boko Haram, waren z.T. in großer Not. Drehscheibe für den Transit ist nach wie vor die Stadt Agadez, deren Wirtschaftsstruktur inzwischen völlig auf die Belange der Migranten ausgerichtet ist und daher sogar von ihr profitierte. Insgesamt war das Geschäft mit den Migranten einer der wenigen Wirtschaftszweige in Niger, die wirklich rentabel waren.

Die Regierung von Niger hatte daher kein großes Interesse an der Regulierung der Migration, bis die offensive Migrationspolitik der EU sie schließlich dazu veranlasste mit dieser zusammenzuarbeiten. Im Mai 2015 wurde das Gesetz 2015-36 verabschiedet, das Menschenschmuggel und Schleppertum unter Strafe stellt, erst seit 2016 wird es jedoch konsequent umgesetzt. Seitdem fangen die Sicherheitsbehörden von Niger und der G5-Gruppe (dessen Staatssekretär seit Februar 2018 auch Mahmadou ist) immer mehr Migranten ab und haben die Grenzüberwachung ausgebaut. Die Fahrer, die Migranten Richtung Norden bringen, werden systematisch verhaftet und ihre Autos beschlagnahmt. Es droht bis zu 30 Jahre Freiheitsentzug. Tausende Menschen im Norden des Landes verloren ihre Existenzgrundlage, es wurde auch keine alternative Erwerbsmöglichkeit angeboten.

Einige lokalen Offiziellen sehen darin eine Kriminalisierung des Transportwesens und eine Diskriminierung der einheimischen Bevölkerung und werfen der Regierung vor, dass sie die Gesetze nur auf Druck der EU beschlossen habe. Besonders die große Anzahl an jungen Menschen rund um Agadez, aber auch in Dirkou und Arlit leiden sehr unter diesen Entwicklungen, die negative Folgen für die Wirtschaft, die Gesellschaft und die innere Sicherheit in den Regionen haben, die zuvor von der Migration profitierten.

Im Herbst 2017 zogen die nigrischen Behörde eine erst Bilanz des neuen Gesetzes und kamen zu dem Ergebnis, dass 282 Personen verhaftet und 169 Autos konfisziert wurden. Nach offiziellen Zahlen ist die Migration über Agadez zwischen 2016 und 2017, um 75% zurückgegangen, allerdings ist es wahrscheinlich, dass die Kontrollpunkte in Agadez einfach gemieden werden. 2018 ist die Migration nach Präsident Issoufou sogar um 85 % zurückgegangen.

Kooperation mit EU

Die Kooperation zwischen Niger und der EU wurde in den letzten Jahren immer weiter ausgebaut, um zusammen gegen Menschenschmuggel und Terrorismus zu kämpfen. In diesem Zusammenhang haben die G5-Sahel-Staaten (Mauretanien, Niger, Burkina Faso, Mali und Tschad) auch eine Ausbildungsstätte für Führungskräfte der inneren Sicherheit gegründet, die eine gemeinsame Einsatztruppe gegen Terrorismus und organisierte grenzüberschreitende Kriminalität ausbildet. Es wird befürchtet, dass diese Gruppe im Rahmen ihrer Arbeit Menschenrechtsverletzungen, auch an Migranten verübt. Es wird in der EU darüber verhandelt, diese Gruppe zu unterstützen. Falls es dazu kommen sollte, muss die EU auch gewährleisten, dass dies nicht vorkommt.

Inzwischen ist Niger das Kernland in Westafrika, über das die EU versucht, die Migration nach Europa zu reduzieren bzw. zu verhindern. Die Stellung von Niger als wichtiger Partner hat auch zur Folge, dass die oben genannten Menschenrechtsverletzungen nicht von der EU kritisiert werden. Der Kampf gegen „irreguläre“ Migration soll durch mehrere Maßnahmen, die parallel laufen, erfolgen: die Schließung der Grenzen durch Ummandatierung von EU-Missionen (wie EUCAP), die gezielte Unterstützung der Sicherheitskräfte an den Grenzen durch Schulung, Ausstattung und finanzielle Hilfen und die Lenkung der Migrationsrouten über die Transitzentren. EUCAP Sahel Niger ist eine zivile Mission der EU, die seit August 2012 die Sicherheitskräfte im Kampf gegen Terrorismus und organisierter Kriminalität unterstützen soll.

Im Jahr 2014 wurde das Mandat der EUCAP Sahel Niger verändert, sodass sie sich nun auch gegen irreguläre Migration einsetzt, wobei diese Arbeit inzwischen einer der Hauptbestandteile der EUCAP Sahel Mission im Niger ist. Im Rahmen dieses Programms wurden inzwischen schon über 13.000 Amtsträger trainiert, als Gegenzug ist Niger eines der Länder, das am meisten Geld von der EUTFA bekommt, insgesamt etwa 186 Millionen Euro. Bei der Ausbildung und der Ausführung der Maßnahmen werden nach Auskunft der EU alle menschenrechtlichen Vorgaben erfüllt. Bisher wurde aber kaum konkretisiert, wie genau dies sichergestellt wird. Auf Nachfragen lautet die Antwort, dass die Schlüsselfiguren in den Einsatzgruppen regelmäßig über die Bedeutung der Menschenrechte aufgeklärt werden. Jedoch ist fraglich, inwieweit diese Ausbildung ausreicht, wenn Sicherheitskräfte anderorts regelmäßig Menschenrechtsverletzungen an Zivilisten begehen.

In den letzten paar Jahren kamen etwa neunzig Prozent der Migrant_innen, die nach Niger einreisen, aus Westafrika, vor allem aus den Ländern Gambia und Senegal.Sie nutzen die Route um zum Mittelmeer zu gelangen. Viele der Geflüchteten, die Niger durchqueren, schaffen es jedoch nicht diese Strecke zurückzulegen, viele sterben bei dem Versuch. Nach Angaben der Internationalen Organisation für Migration (IOM) sind nur noch etwa 70.000 Migranten von Januar bis Juli 2017 in Niger eingereist, nur etwas mehr als die Hälfte wurde jedoch an der Nordgrenze wieder bei der Ausreise registriert. Dies hängt vermutlich auch damit zusammen, dass wegen dem Gesetz gegen Menschenschmuggel aus dem Jahr 2015, die Fahrer nicht mehr die Straßen benutzen können und deshalb direkt durch die Wüste fahren, wo es dann zu Unfällen kommt, die Fahrer sich verirren oder aus Angst vor den Kräften der G5-Truppe die Migranten mitten in der Wüste ausgesetzt werden. Allein in der Zeitspanne zwischen April und Juli 2017 wurden mindestens 600 Migranten in der Wüste von Niger aufgefunden, wobei mindestens 150 tot oder dem Tod nahe waren, da sie in der Wüste ausgesetzt wurden oder einen Unfall hatten. Man kann also sagen, dass die Kriminalisierung der Migration und der verstärkte Grenzschutz dazu führen, dass Schleuser und Migranten noch gefährlichere Fluchtrouten wählen, die dann auch noch häufiger zum Tod führen. Der UNHCR schätzt das etwas doppelt so viele Menschen bei der Durchquerung in der Sahara sterben wie bei der Überquerung des Mittelmeers. Die genaue Zahl ist aber schwer zu bestimmen, da mutmaßlich viele Tote nie gefunden wurden.

Vor allem in Agadez haben sich Notquartiere für Geflüchtete gebildet, die nicht in der Lage sind ihre Reise fortzusetzen.

Die IOM eröffnete 2016 vier Flüchtlingszentren in Niger: in Niamey, am Knotenpunkt Agadez, in Arlit (auf der Route nach Algerien liegend) und in Dirkou (sich auf der Route nach Libyen befindend). Diese auch Transitzentren genannten Institutionen sollen die Migrationsrouten lenken, in denen Migranten über die Gefahren von Migration aufgeklärt und andere Perspektiven vermittelt werden sollen. Außerdem werden die aus Libyen und Algerien zurückkehrenden Migranten in diesen Zentren betreut und dabei unterstützt in ihre Herkunftsländer zurückzukehren. Diese Transitzentren werden auch von der Bundesregierung mit 100 Mio. Euro unterstützt. Insgesamt wurden 2017 etwa 9100 Migranten in solchen Zentren betreut.

Der Emergency Transfer Mechanism (ETM) ist ein Mechanismus, der Geflüchtete, insbesondere diejenigen, die in Libyen festgehalten wurden, über Niger evakuieren soll. Er wurde Ende 2017 durch die UNHCR eingeführt und inzwischen bis ins Jahr 2021 verlängert. Teilweise wird er auch von dem EUTFA finanziert. Bis November 2020 wurden insgesamt 3200 Geflüchtete über diesen Mechanismus evakuiert. Die ausgewählten Personen werden in einem geschlossenen Zentrum in Hamdallaye oder in Gasthäusern in Niamey untergebracht. Bislang haben nur wenige EU-Länder, darunter Deutschland, überhaupt Geflüchtete aus dem ETM aufgenommen. Seit März 2020 gibt es wegen der Covid-19-Pandemie gar keine Flüge mehr. Diese sehr zurückhaltende Akzeptanz von durch die UNHCR anerkannte Geflüchtete ist insbesondere im Zusammenspiel mit dem sonstigen Engagement der EU im Niger problematisch, da allein nach der Pariser Erklärung aus dem Jahr 2017 das Gegenstück zum Kampf gegen Menschenschmuggel die Öffnung von legalen Zugangswegen zum Asyl sein muss. Das langsame Ablaufen des ETM und der dadurch bedingte Rückstau von Geflüchteten im Niger hat auch dazu geführt, dass die nigrische Regierung das Programm im März 2018 suspendiert hat, sodass keine weiteren Geflüchteten aus Libyen gerettet werden, wo ihre Menschenrechte extremen Gefahren ausgesetzt sind.

Auf Veranlassung der Regierung von Niger im Mai 2018 wurden 135 bis 145 sudanesische Flüchtlinge in Agadez von Sicherheitskräften festgenommen und zurück nach Libyen ausgewiesen. Diese Geflüchtete flohen nach eigenen Angaben aus Libyen vor Folter und Misshandlung. Die Deportation zurück nach Libyen stellt einen schweren Verstoß gegen das Non-Refoulement-Prinzip dar. Mindestens 10 Geflüchtete dieser Gruppe starben bei dem Versuch das Mittelmeer zu überqueren, der Aufenthaltsort der Anderen ist unklar (Stand: Mai 2019). Inzwischen fliehen immer mehr Geflüchtete aus Libyen in den Niger. Algerien deportierte 2018 über 25.000 Geflüchtete in den Niger. Nur ein kleiner Teil von ihnen erhält Asyl in Niger oder einem europäischen Land. Auch 2020 hat Algerien seine Praxis, Migranten in der Wüste an der Grenze zu Niger auszusetzen, fortgesetzt. Seit September 2020 hat eine neue Welle von Abschiebungen nach Niger begonnen, wobei die Migranten oft mehrere Kilometer durch die Wüste laufen müssen, bevor sie in der ersten Siedlung ankommen, wo sie Hilfe erhalten können. Dabei handelt es sich inzwischen aber nicht nur um Personen aus Westafrika, sondern auch von Geflüchteten aus Syrien, Palästina und Bangladesch. Der UNHCR hat besätigt, dass sich unter diesen Menschen auch einige offiziell bei der UNHCR registrierten Asylbewerber befanden, deren Anträge noch nicht entschieden worden waren.

Im Januar 2020 entschied das oberste Gericht in Agadez, dass die Sitzdemonstrationen von Geflüchteten vor dem Büro der UNHCR illegal waren. Diese hatten gegen die Bedingungen in den Flüchtlingscamps und den Verzögerungen bei der Umsiedlung protestiert. Die Demonstration war von Sicherheitskräften gewaltsam aufgelöst worden, einige der Geflüchtete zerstörten anschließend Teile des Flüchtlingscamps. 336 Asylbewerber wurden festgenommen und der “Organisation einer Rebellion” und der Brandstiftung angeklagt. Ein Teil von ihnen wurde auch verurteilt, die Strafe wurde aber wenig später ausgesetzt.

In der südöstlichen Region Diffa wurden mehrere Hunderttausend Flüchtlinge untergebracht. Nach den Informationen der UN befinden sich darunter auch 300.000 Euro aus dem benachbarten Nigeria, aber auch zahlreiche Binnenflüchtlinge. Der amtierende Präsident Bazoum will sich dafür einsetzen, dass die Flüchtlinge aus Nigeria wieder in ihr Heimatland zurückkehren.

 

Amnesty Reports zur Menschenrechtslage in Niger

Amnesty Report 2021 Englisch

Amnesty Report 2020 Deutsch

Amnesty Report 2020 Englisch

Amnesty Report 2018 zur Menschenrechtslage in Niger

Amnesty Report 2017 zur Menschenrechtslage in Niger

Weitere Berichte

I have nothing left except myself – Bericht über Gewalt gegen Kinder im Tillabéri-Konflikt

They executed some Bericht über Willkür der Soldaten

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Aktuelle Beiträge zu Niger

Ansprechpartner:

Lukas Granrath, Lukas.Granrath@amnesty-westafrika.de

13. März 2024