Lange Zeit waren Vergewaltigungen in Guinea ein Tabuthema, doch in den letzten Jahren rückt das Thema sexualisierte Gewalt immer mehr in die Öffentlichkeit.
Hohe Zahlen, hohe Dunkelziffer
Im Jahr 2021 haben die zuständigen guineischen Behörden mehr als 500 Fälle von Vergewaltigung registriert.
Es ist jedoch davon auszugehen, dass es eine sehr hohe Anzahl nicht registrierter Fälle gibt. So wurden im selben Jahr in der Universitätsklinik Ignace Deen in Conakry 638 Überlebende von Vergewaltigung behandelt, von ihnen waren über drei Viertel unter 16 Jahren alt. Ein Drittel der Vergewaltigungen und sexuellen Übergriffe im Jahr 2021 betraf sogar Mädchen unter 13 Jahren.
Eine nationale Umfrage unter 1600 Frauen zwischen 15 und 64 Jahren ergab, dass 15,4 % der Frauen in der Hauptstadtregion mindestens einmal seit ihrem 16. Lebensjahr vergewaltigt wurden.
Besonders schwerwiegende Fälle sorgen für Proteste
Im November 2021 sorgte ein Fall für besonders großes Aufsehen: M’Mah Sylla wurde mutmaßlich von Ärzten in einer nicht zugelassenen Klinik in Conakry vergewaltigt, als sie sich behandeln lassen wollte.
Als sie daraufhin schwanger wurde, wollte sie das Kind in derselben Klinik abtreiben lassen. Dabei sei sie erneut vergewaltigt und so schwer verletzt worden, dass sie trotz sieben chirurgischer Eingriffe Ende November 2021 verstarb. Zahlreiche Frauen demonstrierten daraufhin in verschiedenen guineischen Städten, um Gerechtigkeit für die Überlebende von Vergewaltigung zu fordern.
Ausführlicher Bericht
Der im September 2022 veröffentlichte Bericht „Shame must change sides: Ensuring rights and justice for victims of sexual violence in Guinea“ wurde gemeinsam von Amnesty International und der Internationalen Föderation für Familienplanung (IPPF) erstellt und beruht auf mehrjähriger Recherchearbeit.
Researcher*innen führten in vier Regionen des Landes über 120 Interviews mit Überlebenden von Vergewaltigung und ihren Familien, mit Vertreter*innen der Zivilgesellschaft, der nationalen Behörden, der traditionellen Verwaltungsinstanzen, von diplomatischen Vertretungen und Agenturen der Vereinten Nationen sowie mit Sicherheits- und Verteidigungskräften. Außerdem sprachen sie mit Anwält*innen, Richter*innen, Mediziner*innen und werteten zahlreiche Rechts- und Gerichtsdokumente, Umfragen und andere Berichte aus.
Zentrale Ergebnisse des Berichts
Die Mehrheit der Fälle ereignet sich innerhalb der Familie oder der Nachbarschaft. Sexualisierte Gewalt wird durch patriarchale Gesellschaftsstrukturen, die Religion und traditionelle Instanzen begünstigt. Diese stehen zum Teil über den staatlichen Gesetzen. Die Überlebenden werden häufig für die Vergewaltigung verantwortlich gemacht, da sie es aufgrund ihres Kleidungsstils „herausgefordert hätten“ oder weil sie sich an einem bestimmten Ort aufhielten. Deshalb schweigen viele Überlebende.
Die medizinische und psychologische Versorgung ist häufig aufgrund mangelnder finanzieller Mittel unzureichend und das Gesundheitssystem nicht zugänglich oder von schlechter Qualität, insbesondere außerhalb der Hauptstadt. So gibt es in der Region Mamou für fast eine Millionen Einwohner*innen nur einen Gynäkologen. Es gibt keine funktionierende Hotline, die Überlebenden Beratung bietet. Beratungszentren entstehen langsam, sind jedoch noch nicht in ausreichender Zahl vorhanden.
Der Zugang zur Justiz ist eingeschränkt. Traditionelle Instanzen drängen zum Teil auf eine außergerichtliche Klärung. Reichen Überlebende Klage ein, werden sie häufig bedroht und es wird Druck auf sie ausgeübt, auch innerhalb der Familie. Außerdem haben viele Betroffene Angst, aufgrund der Stigmatisierung nicht mehr verheiratet werden zu können.
Die zuständigen Stellen innerhalb der Polizei und der Gendarmerie werden ebenfalls häufig kritisiert – die Probleme sind teils auf mangelnde Mittel, teils auf unangemessenes Verhalten zurückzuführen. Der Zugang zur Gerichtsmedizin ist stark eingeschränkt und häufig nur in der Hauptstadt gegeben. Für die Bevölkerung von ca. 13 Millionen Einwohner*innen gibt es nur ungefähr 15 Gerichtsmediziner*innen. Die Rechtskosten stellen aufgrund mangelnder Beihilfe ebenfalls eine Hürde dar. Schließlich sind die Verfahren häufig lang und die Urteile zum Teil unangemessen angesichts der Schwere der Straftaten.
Positive Entwicklungen, doch weiterhin viel zu tun
Seit 2015 haben die guineischen Behörden Maßnahmen gegen sexualisierte Gewalt, insbesondere gegen Vergewaltigungen, ergriffen. Der rechtliche Rahmen wurde gestärkt, Sensibilisierungskampagnen und Schulungen durchgeführt und die Bearbeitung der Fälle durch eine Justizreform beschleunigt. Innerhalb der Gendarmerie wurde eine Sonderbrigade zum Schutz gefährdeter Personen (BSPPV) eingerichtet. Die Übergangsregierung (die seit einem Staatsstreich am 5.9.2021 an der Macht ist), hat sich verpflichtet, wirksam gegen sexualisierte Gewalt vorzugehen.
Trotz dieser Anstrengungen zeigt der Bericht, dass Guinea seinen internationalen Verpflichtungen zur Prävention von Vergewaltigungen, zum Schutz der Überlebenden und im Kampf gegen die Straflosigkeit nicht ausreichend nachkommt.
Hier könnt ihr euch gegen sexualisierte Gewalt in Guinea einsetzen.