Sierra Leone: Auch sieben Monate nach August-Protesten keine Gerechtigkeit

People celebrate outside the Court on March 26, 2018 in Freetown after Sierra Leone’s High Court lifted an order that had halted the country’s presidential runoff because of a complaint of electoral fraud backed by the ruling party. The High Court removed an injunction it imposed on March 24 to halt preparations for the poll due to an electoral fraud complaint filed by a lawyer linked to the ruling All Peoples’ Congress (APC). / AFP PHOTO / ISSOUF SANOGO (Photo credit should read ISSOUF SANOGO/AFP via Getty Images)

Am 10. August 2022 brachen in Sierra Leone Proteste gegen die stark gestiegenen Lebenshaltungskosten aus, bei denen sechs Polizeikräfte und über 20 Demonstrierende und unbeteiligte Umstehende ums Leben kamen. Die Behörden kündigten damals Untersuchungen an, um die Vorfälle aufzuklären.

Exzessive Gewaltanwendung

Nun hat Amnesty International Interviews mit Augenzeug*innen, Angehörigen von Opfern, Regierungsvertreter*innen, Polizeikräften und Organisationen der Zivilgesellschaft geführt. Dabei berichteten Befragte über exzessive Gewaltanwendung durch die sierra-leonischen Sicherheitskräfte gegen Demonstrationen in Freetown, Makeni und Kamakwie, die zum Teil gewalttätig verliefen.

Dabei kamen auch unbeteiligte Personen ums Leben. So wurde laut Zeugenberichten eine Frau durch Irrläufer in ihrem Haus getötet sowie eine andere Frau, die auf dem Weg war, um Gemüse zu verkaufen. In Makeni berichtete ein Krankenhausmitarbeiter über elf Schwerverletzte, die am 10. und 11. August eingeliefert wurden. Vier von Ihnen hätten Schusswunden erlitten.

Am Tag der Demonstrationen wurde in Makeni ab 15 Uhr eine Ausgangssperre verhängt. Ein junger Mann, der dies nicht wusste, wurde laut eigenen Angaben angeschossen, als er Zeit mit seinen Freunden verbrachte. Einige Tage nach den Demonstrationen kam in Makeni ein Mann bei einer Polizeirazzia im Zusammenhang mit den Demonstrationen ums Leben.

Keine Beisetzung von Angehörigen möglich

Angehörige der Opfer berichteten, dass sie erst nach einem Monat Zugang zu den Leichen bekamen und die Verstorbenen kaum mehr identifizieren konnten, weil der Körper bereits verwest waren.

Am 17.Oktober 2022, mehr als zwei Monate nach den Demonstrationen, wurden 27 Leichen in Waterloo beigesetzt. Nach Angaben der Regierung wurde aus Sicherheitsgründen mit Zustimmung der Familien eine öffentliche Beisetzung organisiert. Einige Angehörige gaben jedoch an, keine Wahl gehabt zu haben. Es sei ihnen nicht gestattet worden, eine private Beisetzung zu organisieren.

Untersuchungen und faire Verfahren erforderlich

Am 24.8.2022 richtete die Regierung einen Sonderausschuss ein, um die Vorfälle aufzuklären. Bislang hat dieser jedoch keine Ergebnisse der Untersuchungen veröffentlicht.

Während bezüglich des Todes zweier Polizisten in Freetown bzw. Makeni und in Fällen von Brandstiftung in Kamakwie bereits Verhaftungen erfolgten, gab es bislang keine offiziellen Ermittlungen im Fall der Tötung von Demonstrierenden und Umstehenden.

Laut dem Generalinspektor der Polizei wurden nach den Demonstrationen 515 Personen inhaftiert, darunter 200 wegen Missachtung der Ausgangssperre. Es ist nicht bekannt, wie viele von ihnen sich derzeit noch in Haft befinden. Zeugenberichten zufolge konnten einige Inhaftierte ihre Anwält*innen vor ihrem Verfahren nicht sehen und wurden nur aufgrund der Aussagen von Sicherheitskräften verurteilt. Der Generalinspektor der Polizei gab an, die Inhaftierten hätten Zugang zu ihren Anwält*innen gehabt, allerdings in Anwesenheit der Ermittler*innen.

Amnesty International fordert die Behörden in Sierra Leone auf:

  • sicherzustellen, dass Sicherheitskräfte auch bei gewalttätig verlaufenden Demonstrationen nur dann selbst Gewalt anwenden, wenn sie alle anderen gewaltfreien Mittel ausgeschöpft haben und dass diese Gewaltanwendung immer verhältnismäßig ist;
  • alle Fälle von Gewaltanwendung unabhängig, unparteiisch und umfassend zu untersuchen, die rund um die Demonstrationen im August 2022 zu Verletzungen oder zum Tod geführt haben, und die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen;
  • allen Inhaftierten Zugang zu rechtlichem Beistand zu gewähren und sicherzustellen, dass ihnen auch während der Anhörung ausreichend Zeit und angemessene Räumlichkeiten zur Verfügung stehen, um sich vertraulich mit ihren Anwält*innen auszutauschen;
  • insbesondere vor den im Juni anstehenden Präsidentschaftswahlen das Recht auf freie Meinungsäußerung und Versammlungsfreiheit zu gewährleisten und sicherzustellen, dass die Sicherheitskräfte internationale und nationale Menschenrechtsstandards achten;
  • das Gesetz zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung von 1965 zu reformieren und für spontane Versammlungen eine ausdrückliche Ausnahme von der verpflichtenden Vorankündigung zu verankern.

Die vollständige Pressemitteilung findet ihr hier: https://www.amnesty.org/en/latest/news/2023/03/sierra-leone-seven-months-after-augusts-protests-which-turned-violent-in-some-locations-no-justice-yet-for-those-injured-or-the-families-of-those-killed/

Weitere Informationen findet ihr hier: https://www.amnesty.org/en/latest/campaigns/2023/04/a-two-tracks-road-to-justice-for-sierra-leoneans-killed-in-august-2022-violence/