Solidarität mit der Black Academy: Polizeieinsatz in Mannheim aufklären!

Mitglieder der Kogruppe und andere Amnesty-Mitglieder bei einer Aktion

Die Amnesty-Koordinationsgruppen in Deutschland, die zu Menschenrechtsverletzungen in Subsahara-Afrika arbeiten, haben sich im Rahmen ihres Regionalarbeitskreises auf der Jahresversammlung solidarisch erklärt mit der Black Academy und Place for Africa. Vier Schwarze Klimaaktivisten, die als Gäste der Black Academy nach Mannheim eingeladen worden waren, erlebten dort am 27. April 2023 einen traumatisierenden SEK-Einsatz. Die Polizeimeldung weicht sehr stark von den Schilderungen der Black Academy ab. Angesichts der hohen Definitionsmacht der deutschen Polizei müssen die Betroffenen ausführlich gehört und ernstgenommen werden. Es braucht dringend Transparenz, wie genau es zu dem Einsatz kommen konnte und konkrete Maßnahmen gegen strukturellen Rassismus bei der Polizei in Deutschland!

Hintergrund

Bereits seit mehreren Jahren begleitet und berät Nicole Amoussou, Vorsitzende der Black Academy, Amnesty Deutschland und besonders uns Koordinationsgruppen, die zu Menschenrechtsverletzungen in Subsahara-Afrika arbeiten, als Expertin diskriminierungs- und machtkritisch in unserer Arbeit. Erst Anfang des Jahres erschien ein Bericht über sie und die Black Academy sowie Place for Africa im Amnesty Journal: https://www.amnesty.de/informieren/amnesty-journal/deutschland-diskriminierung-rassismus-wissenschaftliches-netzwerk-black-academy-nicole-amoussou

Von daher waren und sind wir sehr bestürzt über die Ereignisse am 27. April in Mannheim. Wir fordern eine transparente Aufklärung des Einsatzes und endlich rassismuskritische Polizeiarbeit in Deutschland!

Stellungnahme der Black Academy mit Schilderungen der Ereignisse

aus der Stellungnahm der Black Academy vom 17.05.2023 https://black-academy.org/polizeigewalt/stellungnahme-zum-polizeieinsatz-am-27-04-23-und-reaktion-auf-pressemitteilung-der-polizei/

Wir blicken mit Fassungslosigkeit und Wut auf die Ereignisse des 27. April 2023 in Mannheim.

Vier junge Klimaaktivisten aus Westafrika waren Anfang April angereist, um als Gäste der Black Akademy in einem internationalen Team über Perspektiven aus dem globalen Süden auf Themen der Klimagerechtigkeit zu sprechen und zusammen mit ihren deutschen Kolleg*innen für Austausch und gegenseitige Sensibilisierung zu arbeiten.

Nur ein paar Tage nachdem ihr aktivistisches Engagement vom Oberbürgermeister in einem Gespräch persönlich anerkannt wird, erleben sie einen traumatisierenden SEK-Einsatz, der körperliche und psychische Spuren hinterlässt.

In den Morgenstunden des 27. April wird die Wohnung der jungen Aktivisten in Mannheim von einem Sondereinsatzkommando der Polizei gestürmt. Die völlig überrumpelten Männer, die zu diesem Zeitpunkt noch davon ausgehen, dass es sich um eine in Deutschland wohl so übliche Personenkontrolle handle, holen zunächst schnell ihre Pässe, um sich ausweisen zu können. Doch statt einer bloßen Kontrolle werden die Aktivisten aus der Wohnung auf die offene Straße geführt und draußen fast zwei Stunden z.T. ohne Schuhe und Jacken und mit Kabelbindern gefesselt festgehalten. Währenddessen wird die Wohnung von vielen Einsatzkräften durchsucht.

Unserer Ansicht nach weist die daraufhin erschienene Polizeimeldung vom 02.05.2023 nicht nur einige Unstimmigkeiten auf, sondern werden darin auch Tatsachen verdreht, irreführende Formulierungen genutzt und die Geschehnisse stark verharmlost.

Weder wurde den Betroffenen kein Durchsuchungsbeschluss für die Wohnung vorgelegt, noch wurde ihnen – anders als von der Polizei berichtet – die Maßnahmen oder Gründe des Einsatzes erklärt. Auch ist unklar, wie es sein kann, dass die Polizei, die “nach intensiven Ermittlungen” in die Wohnung eindrang, nichts von den vier Personen wusste, die seit fast drei Wochen in der Unterkunft lebten, die schon seit anderthalb Jahren von der Black Akademy angemietet ist.

Von einem „fluchtartigen Verlassen der Wohnung“ kann ebenfalls keine Rede sein, da die Männer, die lediglich von einer Personenkontrolle ausgingen, nichts zu befürchten hatten. Die Unterstellung eines Fluchtversuchs stellt die uneingeschränkte Unschuld und Unwissenheit der Betroffenen öffentlich in Frage und bietet eine vermeintliche Rechtfertigung des Umgangs der Polizei, die keine Grundlage hat.

An dieses Narrativ schließt die Behauptung “betäubungsmittel- und sprengstoffverdächtige Gegenstände” in der Wohnung gefunden zu haben an. Bei den von der Polizei anschließend selbst als “äußerst ungewöhnlich verpackte Lebensmittel” benannten Gegenständen handelte es sich schlicht und ergreifend um Nahrungsmittel aus den Heimatländern, die sie für einen Workshop auf der Bundesgartenschau mitgebracht hatten, um über biologische, vegane Ernährung in Afrika zu sprechen. Dass die Drogenspezialeinheit der Polizei für die Identifizierung der Gegenstände gemeinsam mit mehreren Spürhunden fast zwei Stunden für die Identifizierung brauchte, verwundert uns sehr. Andererseits werden die Betroffenen durch die Unterstellung des Besitzes dieser Gegenstände grundlos kriminalisiert und diffamiert. In unseren Augen wird sich hier klar an rassistischen Stereotypen bedient.

Schon die Überschrift des Pressestatements der Polizei vom 02.05. “Polizeieinsatz und Durchsuchung nach Rauschgifthandel” wirkt bewusst irreführend und stellt bei der Leser*innenschaft schnell einen vermeintlichen Zusammenhang der vier Personen zu Drogen her. Ebenfalls lässt das Statement die Umstände der “vorläufigen Festnahme” auf öffentlicher Straße gänzlich aus, bei der die Personen unzureichend bekleidet ausharren mussten und erst nach einer Weile (obwohl vermeintlich von Anfang an Fluchtgefahr bestand?) auf unverhältnismäßig brutale Weise gefesselt wurden.

Für die Polizei gilt das Verhältnismäßigkeitsprinzip. Dieser Einsatz war alles andere als verhältnismäßig.

Eine Entschuldigung an die Betroffenen und deren Angehörige und ein öffentliches Eingeständnis ihrer Unschuld von Seiten der Polizei ist das Mindeste, was wir erwarten. Wir fordern, dass die Polizei transparent macht, wie genau es zu dem Einsatz kommen konnte und dass die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden. Außerdem muss anerkannt werden, dass es sich hierbei nicht um einen Einzelfall handelt, sondern die Polizei in Mannheim ein strukturelles Problem mit unrechtmäßiger Gewalt und Rassismus hat. Es lässt uns sprachlos zurück, dass dies von Kriminaldirektorin Ulrike Schäfer in der Sitzung des Ausschusses für Sicherheit und Ordnung am 2. Mai 2023 grundsätzlich verneint wird und sie sich “verwahre”, dass es strukturellen Rassismus in der Polizei gebe. Das können wir so nicht stehen lassen und wir fordern dringend eine Richtigstellung!

Wir halten verpflichtende und umfangreiche Aus-, Fort- und Weiterbildungen zu Racial Profiling und Verhältnismäßigkeit für unabdingbar. Aber auch das Etablieren einer wirklich neutralen Kontrollinstanz halten wir für überfällig, denn bisher ist die einzige Instanz, die Daten und Zahlen zu Polizeigewalt veröffentlichen, kontrollieren und validieren kann, die Polizei selbst. Auch die verpflichtende Nutzung von Bodycams bei allen Einsätzen halten wir für notwendig. Ein SEK-Einsatz, wie ihn die vier jungen Klimaaktivisten erleben mussten, hinterlässt Spuren. Es darf und kann nicht sein, dass unschuldige Menschen, die in Mannheim zu Gast sind, um sich für Diversität und Vielfalt einzusetzen, während ihres Aufenthalts eine solch traumatische Erfahrung machen.

Wenn die Polizei will, dass ihnen die Bevölkerung in Mannheim und im ganzen Bundesgebiet Vertrauen schenkt, müssen Racial Profiling, unverhältnismäßige Gewaltanwendung und menschenunwürdige Behandlung ein Ende haben!

 

Unsere Amnesty-Forderungen für Antirassismus in der deutschen Polizeiarbeit: https://www.amnesty.de/informieren/aktuell/deutschland-sechs-forderungen-antirassismus-in-polizeiarbeit

Twitter-Thread von Amnesty Deutschland zu den Vorfällen: https://twitter.com/amnesty_de/status/1662045754393870337

3. Juni 2023