Nigeria

Hintergrund

Nigeria ist mit geschätzten 230 Millionen das afrikanische Land mit der höchsten Einwohnerzahl und – neben Südafrika – auch mit dem höchsten Bruttoinlandsprodukt, das in Nigeria stark durch den Export von Erdöl getragen wird. Der relative Reichtum des Landes ist allerdings sehr ungleich verteilt – über 60 % der Bevölkerung leben unter der Armutsgrenze. Nach Jahrzehnten der politischen Instabilität und der Unterdrückung durch Militärdiktaturen gelang 1999 der Übergang in eine föderale Demokratie, an deren Spitze der Staatspräsident, derzeit Bola Tinubu, mit seinen Ministern steht, danach 36 von Gouverneuren regierte Bundesstaaten und schließlich 774 Gemeinden.

Konflikte

Nicht nur religiös ist das Land gespalten zwischen einem moslemisch dominierten Norden und einem christlich dominierten Süden, sondern auch die unterschiedlichen Ethnien, Haussa im Norden, Yoruba im Südwesten und Ibo im Südosten, sowie zahlreiche Minderheiten stehen sich unversöhnlich und konkurrierend gegenüber, besonders wenn es um die Verteilung von Ressourcen wie der Landnutzung oder der Gewinne aus dem Erdölverkauf geht. Im zentralen Plateau State kam es immer wieder zu gewaltsamen Konflikten zwischen nomadisierenden Haussa, die mit ihren Herden aus der immer trockener werdenden Sahelzone nach Süden ziehen, dort Land besetzen und ihre islamischen Regeln einführen wollen. Bei den dabei entstehenden Zusammenstößen, sind in der Hauptstadt Jos Kirchen und Moscheen niedergebrannt und seit dem Jahr 2001 etwa 5000 Menschen getötet worden. Zwischen 2016 und 2018 eskalierten die Auseinandersetzungen zwischen sesshaften Bauern und nomadischen Viehhirten bei denen etwa 4.000 Menschen ums Leben kamen. Tausende Menschen wurden vertrieben. Die Auswirkungen des Klimawandels zwingen die Viehhirten dazu, in südlichere Regionen des Landes auszuweichen. Im Konflikt um die Landnutzung versuchen beide Seiten zunehmend, den Lebensunterhalt der anderen zu zerstören. Das Versagen der nigerianischen Regierung, Schutz zu gewährleisten und die Verantwortlichen vor Gericht zu bringen, trägt zur weiteren Eskalation bei. Der Bericht “Harvest of Death: Three Years of Bloody Clashes Between Farmers and Herders” dokumentiert die schockierende Brutalität, mit der die Angriffe ausgetragen werden. Auch schwangere Frauen und Kinder sind unter den Opfern. Sicherheitskräfte befanden sich laut Aussagen häufig in der Nähe der Überfälle, griffen aber über Stunden und zum Teil tagelang nicht ein.

Boko Haram und ISWAP

Eine neue Dimension haben die religiösen Konflikte seit 2009 durch die Gewalt der islamisch fundamentalistischen Sekte Boko Haram („westliche Bildung ist Sünde“) angenommen. Diese Gruppe, die sich im Nordosten Nigerias gebildet hat, inzwischen aber weit darüber hinaus Anschläge verübt, hat mit den traditionellen islamischen Institutionen gebrochen und bekämpft den nigerianischen Staat und alle, die sich ihr entgegenstellen. Zunächst griff sie Institutionen wie Polizeistationen, Schulen und Kirchen an und hat dann gezielt Christen, Lehrer und Schüler weltlicher Schulen und Journalisten ermordet. Schließlich begann Boko Haram ganze Ortschaften zu überfallen, Häuser niederzubrennen und Bewohner wahllos zu töten. Über 2000 Frauen und Mädchen wurden entführt, mit Kämpfern zwangsverheiratet oder zum Kampf für Boko Haram gezwungen. Mädchen wurden gezwungen als Selbstmordattentäterinnen Bombenanschläge auf Märkte oder andere Menschenansammlungen zu verüben. Insgesamt wurden durch Boko Haram mehr als 8.000 Zivilisten getötet. Über zwei Millionen Menschen flohen vor der Gewalt im Nordosten des Landes. Einen ausführlichen Amnesty-Bericht dazu gibt es hier.

Zur Bekämpfung von Boko Haram wurde 2011 eine Spezialeinheit (Joint Task Force) eingesetzt, die 2013 durch die 7. Armee-Division verstärkt wurde. Diese Spezialeinheit geht mit großer Härte gegen mutmaßliche Mitglieder der Sekte vor, kann die Bürger jedoch nicht effektiv vor deren Übergriffen schützten. Über 1.200 Menschen sind zum Teil auf offener Straße extralegal hingerichtet worden und über 20.000 Menschen wurden willkürlich in Haft genommen. Inhaftierten wird jeder Kontakt zu Angehörigen, Ärzten oder Anwälten verweigert, sie werden gefoltert und nicht gerichtlich angehört. Seit 2011 sind mindestens 7.000 Menschen in der Haft an der Folter, Ersticken, Unterernährung und fehlender medizinischer Versorgung ums Leben gekommen. Die Sicherheitskräfte verweigern Menschenrechtsorganisationen und dem Roten Kreuz den Zugang zu diesen Gefangenenlagern. Nur einige wenige der mutmaßlichen Boko Haram Mitglieder wurden vor Gericht gestellt. Einen Bericht von Amnesty dazu gibt es hier. Mehr Informationen zu den aktuellen Entwicklungen der Haftbedingungen in den Giwa Barracks, einer Militär-Haftanstalt im Nordosten Nigerias, gibt es in dem neuen Bericht “If you see it, you will cry”. Gedruckte Flyer in deutscher Sprache zum Thema Boko Haram können über das Kontaktformular bei der Nigeria Kogruppe bestellt werden.

Seit 2015 hat des nigerianische Militär große Gebiete im Nordosten des Landes zurückerobert, die unter der Kontrolle von Boko Haram waren. Zwischen Mitte 2015 und Mitte 2016 richtete das Militär 14 sogenannte „Satellite Camps“ für die Vertriebenen in den zurückeroberten Städten ein, vor allem im Bundesstaat Borno. Die Bevölkerung der umliegenden Gegenden, in denen Boko Haram noch aktiv war, wurde gezwungen in die Satellite Camps zu gehen. Die Lebensbedingungen in den Satellite Camps waren verheerend, besonders in den ersten neun bis zwölf Monaten nachdem die eingerichtet wurden. Die Befragungen von Amnesty International ergaben, dass in ihnen zwischen Ende 2015 und Juni 2016 15 – 30 Menschen pro Tag an Hunger und Krankheiten starben. Viele Frauen und Männer berichteten, wie Soldaten und Mitglieder der Civilian JTF Gewalt und Drohungen benutzen um Frauen und Mädchen zu vergewaltigen und die Bedingungen im Lager ausnutzen, um Frauen zu zwingen ihre „Freundinnen“ zu werden und ständig für Sex zur Verfügung zu stehen. Einen Bericht von Amnesty dazu gibt es hier. Gedruckte Flyer in deutscher Sprache zum Thema können über das Kontaktformular bei der Nigeria Kogruppe bestellt werden.

Seit dem Tod des Anführers von Boko Haram, Abubakar Shekau, am 19. Mai 2021 haben sich Tausende Boko-Haram-Mitglieder, darunter auch Jugendliche, zusammen mit ihren Familien freiwillig den Sicherheitskräften gestellt. Die Angriffe der islamistischen Gruppierung halten jedoch weiterhin an.
Zusätzlich zu den Bedrohungen durch Boko Haram sehen sich die Menschen im Nordosten Nigerias vermehrt Angriffen von ISWAP (Islamischer Staat Provinz Westafrika) ausgesetzt, deren Angriffe 2021 mehrere Dutzend Todesopfer und zehntausende Binnenvertriebene zu verantworten haben.

Tödliche Repression der Pro-Biafra-Aktivisten

Seit dem August 2015 haben die Sicherheitskräfte mindestens 150 Mitglieder und Unterstützer_innen der Pro-Biafra Organisation IPOB (Indigenous People of Biafra) während friedlicher Versammlungen, Demonstrationen und anderer Treffen getötet und Hunderte verletzt. Hunderte wurden zudem willkürlich verhaftet. Videomaterial und Augenzeugenberichte zeigen übereinstimmend, dass das Militär, das anstelle der Polizei eingesetzt wurde, um Pro-Biafra Versammlungen zu kontrollieren, die friedlichen Zusammenkünfte durch Schüsse mit scharfer Munition auflöste. Fast 50 Jahre nach dem Biafra Sezessionskrieg dauert die Forderung nach einem eigenen und unabhängigen Biafra an, ebenso wie die brutale und unrechtmäßige Reaktion der nigerianischen Sicherheitskräfte mit exzessiver Gewalt, extralegalen Tötungen und willkürlichen Verhaftungen. Auch 2021 sollen Mitglieder der IPOB unter ungeklärten Umständen Opfer von Verschwindenlassen geworden sein. Einen ausführlichen Amnesty-Bericht dazu gibt es hier. Gedruckte Flyer zum Thema können über das Kontaktformular bei der Nigeria Kogruppe bestellt werden.

Nigerdelta

Die Ölvorkommen im Nigerdelta waren in den 2000er Jahren ein Konfliktherd mit bürgerkriegsähnlichen Zuständen. Lokale Milizen, die den Erlös aus der Erdölförderung für die Region beanspruchen, machten gemeinsame Sache mit Banditen, die in großem Stil illegal Ölpipelines anzapfen und verkaufen. Sie lieferten sich mit Sondereinheiten der nigerianischen Sicherheitskräfte erbitterte Gefechte, in deren Kreuzfeuer die Bevölkerung geriet. Nach einer durch den ehemaligen Präsidenten Yar’Adua ausgehandelten Amnestie und Rehabilitation hat sich in den letzten Jahren die Sicherheitslage im Nigerdelta relativ beruhigt. Zur Situation im Nigerdelta gibt es auch einen Flyer, der über das Kontaktformular bei der Nigeria Kogruppe bestellt werden kann.

Ölindustrie

In Port Harcourt, Nigeria, activists, partner organizations and Amnesty International call on Shell to own up, pay up and clean up the Niger Delta, as part of a week of action in April 2012.

Das Nigerdelta ist eines der größten Feuchtgebiete der Erde und mit 31 Millionen Menschen dicht besiedelt. Seit den 1960er Jahren werden die großen dort befindlichen Erdölvorkommen von multinationalen Konzernen in Joint-Venture mit dem nigerianischen Staat ausgebeutet. Obwohl dabei geschätzte 600 Milliarden US $ an Einnahmen erwirtschaftet wurden, ist das Nigerdelta infrastrukturell unterversorgt: die Mehrheit der Bevölkerung lebt in Armut ohne Zugang zu Trinkwasser, Gesundheitsversorgung und Bildung. Zudem sind durch die häufig auftretenden Havarien der Pipelines, die das gesamte Gebiet durchziehen, Böden und Gewässer verseucht und der Bevölkerung, die von Fischfang und Ackerbau lebt, ist die Lebensgrundlage genommen. Die für die Anlagen zuständigen Erdölkonzerne vernachlässigen ihre Pflicht sie regelmäßig zu warten und die durch ausgelaufenes Öl verseuchten Gebiete zu reinigen. Amnesty International hat zahlreiche Beispiele untersucht und dokumentiert, in denen durch das Verschulden der Konzerne Gesundheit und Leben der Bewohner verletzt wurde. Amnesty hat dies in den vergangenen Jahren in mehreren Berichten (2009, 2011, 2013, 2020) dokumentiert.

Im jahrelangen Rechtsstreit um die Umweltverschmutzungen im Niger-Delta hat ein niederländisches Berufungsgericht den Öl-Konzern Shell 2021 zu Entschädigungszahlungen verurteilt. Das Gericht unterstrich damit die Verantwortung des Konzerns für Handlungen seines Tochterunternehmens in Nigeria. Dies habe die Verseuchungen durch schlecht gewartete Öl-Pipelines verursacht. Die Umweltorganisation Milieudefensie und vier nigerianische Bauern hatten 2008 in den Niederlanden geklagt – dort hat Shell seinen Hauptsitz. In Nigeria ist kaum möglich, Rechtsansprüche geltend zu machen. Der Konzern muss nun Schadensersatz zahlen und Sensoren zur Erkennung von Schäden an alten Öl-Leitungen nachrüsten.

Die AI Gruppe Berlin Kreuzberg hat eine Ausstellung zum Thema Ölindustrie in Nigeria produziert, die nach Anfrage heruntergeladen und selbst ausgedruckt werden kann.

Folter

AI Togo activists make photo action to support Moses AKATUGBA
Amnesty International Activists and Supporters show their support for Amnesty’s campaign to Stop Torture.

Folter und andere Formen unmenschlicher und erniedrigender Behandlung durch Polizei und andere Sicherheitskräfte sind in Nigeria weit verbreitet. Opfer sind Menschen, die wegen tatsächlicher oder angeblicher Vergehen von der Polizei verhaftet wurden. Gegenüber Amnesty International berichteten Häftlinge und Zeugen, dass sie während der Haft mit Macheten und Gewehrkolben geschlagen und an den Füßen aufgehängt wurden, dass sie Scheinexekutionen ausgesetzt wurden, dass sie durch enge Fesselung mit Kabeln an Armen und Händen verletzt und mit Kabeln geschlagen wurden, dass sie unter schwere Sandsäcke gelegt wurden und dass Sicherheitskräfte mit Stiefeln über sie liefen, dass sie an Pfähle gebunden den ganzen Tag über in extremer Hitze stehen mussten, dass ihnen in die Füße oder andere Körperteile geschossen wurde. Wiederholt wurde Amnesty International berichtet, dass die Polizei regelmäßig Verdächtige foltert um Geständnisse zu erpressen. In vielen Polizeistationen wird den Verdächtigen Kontakt zu einem Anwalt versagt und die Polizeiberichte sind oft lücken- und fehlerhaft. Amnesty International wurde auch berichtet, dass Menschen zum Zweck der Erpressung von Bestechungsgeldern inhaftiert und erst freigelassen werden, wenn sie die sogenannte „police bail“ bezahlt haben. Ihre Namen werden dann nicht in den Listen der Verhafteten geführt.In vielen Fällen werden Geständnisse, die unter Folter gemacht wurden, vor Gericht als Beweise gewertet, entgegen nationalem und internationalem Recht. Hier ein Bericht von Amnesty dazu.

Verfolgung von LGBTI

Homosexualität wird unter dem Criminal Code mit 14 Jahren Haft und nach dem in den 12 nördlichen Bundesstaaten geltenden Sharia Recht mit dem Tod durch Steinigung bestraft. In der nigerianischen Gesellschaft besteht ein breiter Konsens der Ablehnung von Homosexualität, die u.a. von der Anglikanischen Kirche Nigerias getragen und durch Hetzkampagnen in populären Medien geschürt wird. LGBTI Menschen leben in ständiger Gefahr vor gewalttätigen Übergriffen und Misshandlungen, sowohl durch Lynchjustiz als auch die Sicherheitskräfte.Ein im Januar 2014 verabschiedetes Gesetz hat die Strafverfolgung auch auf Unterstützer von Homosexuellen und somit auch auf Menschenrechtsorganisationen, die deren Rechte verfechten, ausgeweitet.

Die Lage für Mitglieder der LGBTIQ-Community verschlechtert sich in bestimmten Landesteilen weiter. So sieht ein 2021 in Taraba angenommener Gesetzentwurf lebenslange Haftstrafen für das Ausleben von Transgeschlechtlichkeit vor.

Zwangsräumungen

Mit der wirtschaftlichen Entwicklung Nigerias werden in vielen Städten informell bebaute, meist am Wasser gelegene Viertel geräumt und abgerissen, weil die Flächen von Investoren für große Bauprojekte beansprucht werden. Es wird geschätzt, dass dabei seit dem Jahr 2000 über 2 Millionen Menschen aus ihren Häusern vertrieben wurden, ohne dass ihnen ein alternativer Wohnraum zugewiesen und ohne dass sie für den Verlust ihrer Häuser entschädigt wurden. Häufig werden vor den Räumungen keine Konsultationen mit den Betroffenen geführt, wie es nationales und internationales Recht vorsieht. Stattdessen kommt es zu exzessiver Gewaltanwendung, wenn sie versuchen sich gegen die Zwangsräumungen zu wehren, wie in der Hafensiedlung Bundu, Port Harcourt im Oktober 2009. Hier dazu Amnesty-Berichte aus den Jahren 2010, 2013, 2017.

Seit März 2016 wurden wiederholt Zwangsräumungen in den Hafengemeinden von Otodo-Gbame und Ilubirin in Lagos State, Nigeria, durchgeführt. Dabei wurden mehr als 30.000 Menschen obdachlos und mehr als 11 starben. Die Gemeinden wurden weder konsultiert, rechtzeitig informiert, kompensiert noch wurde den dort lebenden Menschen eine alternative Unterbringung angeboten. Die durchführenden Behörden verstießen in den sieben dokumentierten Zwischenfällen zwischen März 2016 und April 2017 gegen Verpflichtungen aus nationalen und internationalen Abkommen und in einigen Fällen gegen Gerichtsentscheide. Die Bewohner der Otodo-Game Gemeinde wurden mit Schusswaffen aus ihren Häusern zu vertreiben. Keinerlei Ermittlungen wurden bezüglich der Zwangsräumungen und der daraus resultierende Menschenrechtsverletzungen eingeleitet. Gedruckte Flyer zum Thema Zwangsräumungen in Lagos auf Deutsch können über das Kontaktformular bei der Nigeria Kogruppe bestellt werden. Auch 2021 wurden Menschen von rechtswidrigen Zwangsräumungen durch die Behörden bedroht, besonders betroffen war die Hauptstadt Abuja, in der, unter Missachtung der Menschenrechte und entgegen geltenden Verfahrensregeln, hunderte Häuser zwangsgeräumt und abgerissen wurden.

Polizeigewalt

Jedes Jahr sterben hunderte von Menschen durch tödliche Übergriffe der nigerianischen Polizei. Viele werden auf der Straße, an Straßensperren, im Polizeigewahrsam oder während ihrer Verhaftung rechtswidrig umgebracht. Andere werden im Polizeigewahrsam zu Tode gefoltert. In vielen Fällen kommen diese rechtswidrigen Tötungen extralegalen Hinrichtungen gleich. Die Sicherheitskräfte behaupten dann, dass es sich bei den Opfern um bewaffnete Räuber handelt, die in einem Schusswechsel oder beim Fluchtversuch getötet wurden. Gegen Polizisten, die rechtswidriger Tötungen verdächtigt werden, wird nur selten strafrechtlich ermittelt, stattdessen sie werden zur Fortbildung geschickt oder in andere Bundesstaaten versetzt. Ein ausführlicher Bericht dazu hier.

EndSARS

Im Oktober 2020 protestierten Nigerianer:innen landesweit gegen Polizeigewalt, außergerichtliche Hinrichtungen und Erpressungen durch die Spezialeinheit SARS. In diesem Zusammenhang haben die nigerianischen Sicherheitskräfte am 20. Oktober mindestens 12 friedlich Protestierende in Lagos getötet und zahlreiche weitere Menschen verwundet. Die Sicherheitskräfte eröffneten ohne Vorwarnung das Feuer auf tausende Personen, die im Rahmen der #EndSARS-Bewegung friedlich für eine verantwortungsbewusste Regierungsführung und gegen Polizeigewalt protestierten. Ein Jahr nach den friedlichen #EndSARS-Protesten befanden sich immer noch mindestens 300 Demonstrierende in Haft und mehrere Demonstrierende sollen unter ungeklärten Umständen Opfer des Verschwindenlassens geworden sein. Bisher wurde noch niemand für die Folter, die Gewalt und die Tötungen zur Rechenschaft gezogen, während Berichte über Menschenrechtsverletzungen durch die Polizei weitergehen. Die eingerichteten Untersuchungsausschüsse wurden bisher durch Vertagungen, Einschüchterung von Zeug:innen und das Nichterscheinen von Polizeibeamt:innen als Zeug:innen beeinträchtigt. In einigen Bundesstaaten haben die Gremien nicht getagt, in anderen wurden sie auf unbestimmte Zeit vertagt.
Ein ausführlicher Bericht zu Menschenrechtsverletzungen der Special Anti-Robbery Squad (SARS) hier.

Gewalt gegen Frauen und Mädchen

Im Kontext der Covid-19 Pandemie nahmen die Fälle sexueller Gewalt an Frauen und Mädchen in Nigeria sprunghaft zu. Frauen und Mädchen, die Vergewaltigungen zur Anzeige bringen, sehen sich oft Schuldzuweisungen, abwertender Behandlung, finanzieller Erpressung und Stigmatisierung ausgesetzt. Die Ausbildung von Polizeibeamt_innen im Umgang mit Überlebenden sexueller Gewalt ist unzureichend, ebenso die Ausstattung der Polizeistationen: Diese verfügen oft weder über Räumlichkeiten, welche die Privatsphäre der Überlebenden schützen, noch über die nötigen Transport- oder Finanzmittel, um Überlebenden beispielsweise den Zugang zu einer gerichtsmedizinischen Untersuchung zu ermöglichen. Häufig wird Überlebenden und ihren Familien geraten, eine außergerichtliche Lösung mit den Tätern zu suchen und von einer Anzeige abzusehen. Diese Missstände werden weiter verstärkt durch den Umstand, dass keine landesweit gültige Gesetzgebung in Kraft ist, die Überlebenden sexueller Gewalt ausreichend Schutz bietet.

Oben genannte Erfahrungen und der daraus resultierende Mangel an Vertrauen in die Polizeikräfte führen dazu, dass der Großteil der Fälle sexueller Gewalt nicht zur Anzeige gebracht wird und die vorherrschende Kultur der Straflosigkeit und der Stigmatisierung der Überlebenden bestehen bleibt.

Ein ausführlicher Bericht zu sexueller Gewalt an Mädchen und Frauen hier.

Gefängnisse

Nigerias Gefängnisse sind voll von Personen, deren Menschenrechte systematisch verletzt werden. Etwa 65 Prozent der Inhaftierten warten auf ihr Gerichtsverfahren, die meisten von ihnen seit vielen Jahren. Der größte Teil der Gefangenen ist zu arm, um einen Rechtsanwalt bezahlen zu können und nur jeder siebte Untersuchungshäftling hat einen Rechtsbeistand. Obwohl öffentlicher Rechtsbeistand in Nigeria vorgesehen ist, gibt es zu wenig Pflichtverteidiger für die vielen Fälle, die ihn in Anspruch nehmen müssten. Die Lebensumstände in den Gefängnissen sind erschreckend. Sie schaden der physischen und psychischen Gesundheit der Häftlinge. Verhältnisse wie Überbelegung, schlechte Hygiene, Mangel an Lebensmitteln und Medikamenten, die Verweigerung von Kontakten zu Familienmitgliedern und Freunden stehen im Widerspruch den UN Richtlinien zur Behandlung von Gefangenen. In vielen nigerianischen Gefängnissen müssen sich zwei Gefangene ein Bett teilen oder auf dem Fußboden der schmutzigen Zellen schlafen. Toiletten sind verstopft, laufen über oder sind gar nicht vorhanden und es gibt kein fließendes Wasser. Krankheiten sind daher weit verbreitet. Die meisten Gefängnisse haben kleine Krankenstationen; diesen fehlt es aber an Medikamenten und in den meisten Gefängnissen müssen die Gefangenen ihre Medikamente selbst bezahlen. Zudem verlangen die Gefängniswärter von ihnen oft Bestechungsgelder für „Privilegien“ wie Besuche auf der Krankenstation, ihre Besucher treffen zu dürfen, Kontakt zu ihren Familien aufnehmen zu können und in manchen Fällen überhaupt die Zellen verlassen zu dürfen. Gefangenen, die Geld haben, werden sogar Mobiltelefone erlaubt, während diejenigen, die kein Geld haben in ihren Zellen dahinsiechen. Ein Gefangener sagte: „Wenn du kein Geld hast und ins Gefängnis kommt, wirst du leiden. Ständig wird Geld von dir verlangt. Das ist nicht gerecht.“ Dazu hier ein Amnesty-Bericht.

Todesstrafe

In nigerianischen Gefängnissen sitzen über 1000 Männer und Frauen ein, die zum Tode verurteilt sind. Nachdem zwei nationale Expertengruppen 2004 und 2007 eine Aussetzung von Hinrichtungen empfohlen haben, gilt ein informelles Moratorium, aber dennoch wurde die Todesstrafe in einzelnen Fällen vollstreckt. Die Kommissionen wiesen in ihren Berichten vor allem auf die Defizite im nigerianischen Justizwesen hin, das eine faire Prozessführung nicht garantieren kann. So wurden und werden noch immer Beschuldigte, die zur Tatzeit minderjährig waren, zum Tode verurteilt, Todesurteile beruhen oft auf unter Folter erpressten Geständnissen und Prozesse werden nicht mit der nötigen Sorgfalt und ohne Rechtsbeistand der Angeklagten geführt. Ein detaillierter Bericht dazu hier.

Berichte zu Nigeria

Amnnesty Report 2023 zur Menschenrechtslage in Nigeria

Amnesty Report 2021 zur Menschenrechtslage in Nigeria

Amnesty Report 2020 zur Menschenrechtslage in Nigeria

Menschenrechtsaufgaben für Nigeria 2019

Amnesty Report 2019 zur Menschenrechtslage in Nigeria

Amnesty Report 2018 zur Menschenrechtslage in Nigeria

Amnesty Report 2017 zur Menschenrechtslage in Nigeria

 

Aktuelle Beiträge zu Nigeria

7. Juni 2024