Stand: Mai 2022
Nach dem Unabhängigkeitskampf mehrerer Befreiungsbewegungen gegen die Kolonialmacht Portugal seit 1961 und der Erlangung der Unabhängigkeit 1975 setzte sich 1976 die MPLA (Movimento Popular de Libertação de Angola – Volksbewegung für die Befreiung Angolas) mit Unterstützung der UdSSR und Kubas gegen die konkurrierenden Befreiungsbewegungen FNLA und UNITA durch, die von westlichen Ländern Unterstützung erhielten. Es folgte ein langer und blutiger Bürgerkrieg zwischen der sozialistischen MPLA-Regierung und der UNITA (União Nacional para a Independência Total de Angola – Nationale Union für die völlige Unabhängigkeit Angolas), der nach mehreren gescheiterten Versuchen der Konfliktlösung letztlich erst 2002 nach dem Tod des UNITA-Anführers Jonas Savimbi endete. Seitdem ist die Herrschaft der MPLA, für die von 1979 bis 2017 José Eduardo dos Santos im Rahmen eines autoritären Präsidialsystems an der Spitze des Landes stand, wenig angefochten. Die Unterdrückung und Behinderung von Presse-, Meinungs, Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit waren zusammen mit Korruption und hemmungsloser Bereicherung gerade auch des Präsidenten selbst und seiner Familienangehörigen kennzeichnend für die überlange Präsidentschaft dos Santos’. Sein Nachfolger als Präsident seit September 2017, João Lourenço, ging gegen Korruption, auch durch Angehörige seines Vorgängers, vor und ließ größere politische Freiheiten zu. Er weckte dadurch Hoffnungen auf eine politische Erneuerung, deren Nachhaltigkeit aber bis jetzt noch nicht abschließend beurteilt werden kann.
Dank hoher Einkünfte besonders aus der Erdölförderung – Angola ist nach Nigeria das größte Erdöl produzierende Land Afrikas – kam es in den vergangenen Jahren zu einer rasanten wirtschaftlichen Entwicklung, von der allerdings wegen eines hohen Maßes an Korruption und an sozialer Ungleichheit nur ein sehr kleiner Teil der Bevölkerung profitiert. Vielmehr fließt der Großteil der Einnahmen des Landes in die Taschen der politischen Führungsschicht und deren Familien.
Situation der Menschenrechte
Die Sicherheitskräfte verübten weiterhin schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen, darunter auch zahlreiche rechtswidrige Tötungen, und wandten unverhältnismäßige Gewalt an. Die Polizei verletzte das Recht auf freie Meinungsäußerung, und friedliche Demonstrierende mussten befürchten, willkürlich festgenommen und inhaftiert zu werden. Traditionelle Viehzüchter_innen und Bäuer_innen mussten erleben, dass ihre Landflächen für die Nutzung durch agroindustrielle Betriebe enteignet wurden. Die Regierung unternahm kaum etwas, um die Versorgung mit Nahrungsmitteln und Wasser für diejenigen sicherzustellen, die von Landenteignung, Dürre oder Vertreibung betroffen waren. Staatliche Gelder wurden veruntreut, wodurch die Regierung kaum in der Lage war, die großflächige wirtschaftliche Not zu lindern und das desolate Gesundheitswesen zu sanieren.
Hintergrund
Die Lage im Land war wegen der steigenden Lebenshaltungskosten und der verheerenden wirtschaftlichen und sozialen Folgen der Coronapandemie auch im Jahr 2021 besorgniserregend. Angesichts des schockierenden Kontrasts zwischen den Bildern der hungernden Menschen in den ländlichen Gebieten, insbesondere im Süden, und dem Reichtum in der Hauptstadt Luanda wuchs in der Öffentlichkeit, vor allem bei jungen Leuten, das Bewusstsein für die soziale Ungerechtigkeit. Während die meisten Angolaner_innen unter akuter Nahrungsmittelknappheit litten, wurden im Rahmen der Operação Caranguejo (“Operation Krabbe”) unter der Leitung des Geheimdiensts (Serviço de Inteligência e Segurança de Estado) und der Kriminalpolizei (Serviço de Investigação Criminal) in den Privathäusern von 24 hochrangigen Regierungsbediensteten veruntreute öffentliche Gelder in verschiedenen Währungen und andere Vermögensgegenstände in Millionenhöhe gefunden. Der Präsident sah sich gezwungen, acht Regierungsbedienstete zu entlassen, von denen die meisten ihm nahestehende Generäle waren. Dieser Schritt trug jedoch nicht dazu bei, die Skepsis in der Öffentlichkeit abzubauen.
Rechtswidrige Tötungen
Die Sicherheitskräfte gingen mit unverhältnismäßiger Gewalt gegen friedliche Proteste vor und töteten zahlreiche Demonstrierende. Im Januar 2021 erschossen sie in der Bergbaustadt Cafunfo in der Provinz Lunda Norte Dutzende Aktivist_innen, die friedlich gegen die hohen Lebenshaltungskosten protestiert hatten. Die Sicherheitskräfte schossen nicht nur auf der Straße auf die Demonstrierenden, sondern verfolgten sie auch in die umliegenden Viertel und Wälder. Die genaue Zahl der Toten und Verletzten blieb unbekannt, es gab aber Berichte, nach denen Leichen in den nahe gelegenen Fluss Kwango geworfen wurden.
Obwohl die Provinz Lunda Norte reich an Bodenschätzen ist, lebte die Bevölkerung dort in tiefster Armut. Was Bildung, Gesundheit und Verkehr, aber auch Wasser und Sanitärleistungen betraf, gab es nur eine rudimentäre Versorgung. Um zu überleben, schürften viele Menschen, vor allem junge Männer, Diamanten im Einzelbergbau. In den vergangenen Jahren wurden immer wieder allein arbeitende Schürfer von Wachleuten der Diamantenunternehmen getötet. Die mutmaßlich Verantwortlichen blieben straffrei.
Willkürliche Festnahmen und Inhaftierungen
Nach wie vor nahmen die Behörden friedliche Demonstrierende und Gemeindesprecher_innen willkürlich fest und inhaftierten sie. Am 8. Februar 2021 nahm die Kriminalpolizei nach der gewaltsamen Unterdrückung eines friedlichen Protests José Mateus Zecamutchima fest, den Präsidenten der Autonomiebewegung Movimento do Protectorado Português da Lunda Tchokwe. Die Kriminalpolizei warf ihm “Verbindungen zu Verbrechern und bewaffnete Rebellion” sowie “Anführung der Rebellion zum Sturz der Regierung” vor. Man verlegte ihn von Lunda Norte in eine Hafteinrichtung in Luanda, wo er keinen Kontakt mit seinem Rechtsbeistand aufnehmen durfte. Ende 2021 befand er sich noch immer in Haft.
Am 30. Mai 2021 nahm die Polizei in Cabinda mehrere Demonstrierende fest und inhaftierte sie, nachdem sie eine Protestveranstaltung gewaltsam beendet und ihr Eigentum, darunter Mobiltelefone und Taschen, beschlagnahmt hatte. Die Demonstration war Teil einer größeren Protestaktion in fünf Provinzen gegen Hunger, Arbeitslosigkeit und die unbezahlbaren Lebenshaltungskosten.
Rechte auf Meinungs- und Versammlungsfreiheit
Menschenrechtsverletzungen sowie die wirtschaftliche und soziale Krise führten in ganz Angola zu einer Zunahme von Protesten. Gleichzeitig verschärften die Sicherheitskräfte landesweit ihre Einsätze, um die Proteste zu unterbinden. So hinderte die Polizei beispielsweise am 4. Februar 2021 Mitglieder der zivilgesellschaftlichen Organisation Sociedade Civil Contestatária in Luanda an einer friedlichen Protestaktion, mit der politische Alternativen zur Regierungspartei MPLA (Movimento Popular de Libertação de Angola) eingefordert werden sollten, die seit 45 Jahren an der Macht ist. Am 21. August hielt die Polizei zivilgesellschaftliche Gruppen erneut davon ab, eine Protestveranstaltung in Luanda durchzuführen. Die Gruppen hatten sich in der Bewegung Movimento Angola Unida organisiert und protestierten friedlich gegen Menschenrechtsverletzungen, die zunehmende wirtschaftliche und soziale Verelendung sowie für die jüngst ins Leben gerufene Vereinigte Patriotische Front (Frente Patriótica Unida), einen Zusammenschluss von Oppositionsparteien, der die MPLA bei den Parlamentswahlen 2022 herausfordern will.
Am 30. August 2021 hinderte die Polizei Menschenrechtsverteidiger_innen daran, sich vor dem Parlament zu versammeln, um gegen das neue Wahlgesetz zu protestieren, über das im Parlament beraten wurde. Am 25. September hielt die Polizei mehrere Hundert Mitglieder der angolanischen Studierendenbewegung davon ab, friedlich gegen Gebührenerhöhungen an öffentlichen und privaten Sekundar- und Hochschuleinrichtungen zu protestieren.
Die Angriffe auf die Medienfreiheit hielten an. So setzten die Behörden die Lizenzen einiger privater Fernsehsender außer Kraft, und militante Oppositionelle hinderten Journalist_innen daran, ihrer Arbeit nachzugehen. Am 19. April 2021 entzog das Ministerium für Telekommunikation, Informationstechnologien und soziale Kommunikation den Fernsehsendern Zap Viva, Vida TV und TV Record Africa Angola die Lizenz, wodurch Hunderte Menschen ihren Arbeitsplatz verloren. Das Ministerium gab an, dass diese Unternehmen mit vorläufigen Registrierungen arbeiteten und die Lizenzen so lange ausgesetzt blieben, bis sie ihren Status regularisiert hätten. Die drei Medienunternehmen zeigten sich von dem Lizenzentzug überrascht und erklärten, sie hätten keine vorherigen Informationen oder Mitteilungen über ein Verwaltungsverfahren gegen sie erhalten.
Am 11. September hinderten militante Mitglieder der Partei UNITA Reporter_innen von TV Zimbo daran, über einen öffentlichen Protest der UNITA in Luanda zu berichten. Die Reporter_innen bestätigten den Vorfall, wollten jedoch aus Angst vor Repressalien anonym bleiben.
Wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte
Die desolate wirtschaftliche und gesellschaftliche Situation verschärfte sich noch dadurch, dass öffentliche Gelder abgezweigt und auf die persönlichen Bankkonten sowie in die Privathäuser hochrangiger Regierungsbediensteter transferiert wurden. Im Juni 2021 gab die Generalstaatsanwaltschaft die Festnahme von 24 hochrangigen Militärangehörigen bekannt, die dem Präsidialbüro für Sicherheitsfragen (Casa da Segurança) angehörten. Die Offiziere wurden beschuldigt, große Summen aus der Staatskasse veruntreut zu haben. Einer von ihnen wurde am Flughafen von Luanda festgenommen, als er versuchte, das Land mit zwei Koffern voller Bargeld zu verlassen. Berichten zufolge besaß der Mann eine Flotte von 15 Luxusfahrzeugen sowie 51 Immobilien in Angola, Namibia und Portugal. In seiner Wohnung wurden außerdem Kisten und Koffer gefunden, in denen sich 10 Mio. Kwanza, 4 Mio. Euro und 1,2 Mio. US-Dollar befanden. Gleichzeitig lag Angolas Staatsverschuldung bei über 100 Prozent des Bruttoinlandsprodukts.
Die Provinzen Cunene, Huíla und Namibe litten weiterhin unter extremen Wetterbedingungen, die auf den Klimawandel zurückzuführen waren. Die lang anhaltende Dürre führte zu Nahrungsmittel- und Wasserknappheit, an deren Folgen zahlreiche Menschen und ihr Vieh starben, andere suchten Zuflucht in Namibia. Die Behörden setzten die Enteignung von traditionellem Weideland zugunsten von Agrarunternehmen fort. Damit verstießen sie gegen nationale und internationale Menschenrechtsnormen, u. a. weil sie es unterließen, Konsultationen mit den Betroffenen durchzuführen und angemessene Entschädigungen zu zahlen. Diese Faktoren verschärften die Notlage der betroffenen Gemeinschaften.
Recht auf Nahrung
Aufgrund der Dürre und der rechtswidrigen Besetzung von gemeinschaftlich bewirtschaftetem Weideland durch agroindustrielle Betriebe waren Menschen, die von kleinbäuerlicher Viehwirtschaft lebten, immer weniger in der Lage, die Nahrungsmittel zu erzeugen, die sie zur Deckung ihres Eigenbedarfs benötigten. Daten zeigten, dass die geringen Niederschläge die schlimmste Dürre seit 40 Jahren verursacht hatten und die Unterernährung aufgrund des Mangels an Nahrungsmitteln, Wasser und sicheren sanitären Einrichtungen so hoch war wie nie zuvor. Frauen, Kinder und ältere Menschen waren besonders stark betroffen.
Das massenhafte Sterben von Rindern in einer Region, deren wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Wohlstand von diesem Viehbestand abhängt, schwächte die Widerstandsfähigkeit der betroffenen Gemeinschaften. In den Gemeinden Curoca, Oukwanyama und Onamakunde der Provinz Cunene, den Gemeinden Quipungo und Gambos in der Provinz Huila sowie den Gemeinden Virei und Bibala in der Provinz Namibe hatten Viehzüchter_innen und Bäuer_innen keinen angemessenen Zugang zu Nahrungsmitteln. Dadurch starben zahlreiche Menschen an Hunger und Unterernährung, vor allem ältere Menschen und Kinder.
Im ganzen Land litten Menschen, die in Armut und am Rande der Gesellschaft lebten, unter großer Ernährungsunsicherheit. Viele suchten im Müll nach Nahrung, um sich und ihre Familien ernähren zu können.
Recht auf Wasser
In den südlichen Provinzen, in denen die meisten Viehzüchter_innen und Bäuer_innen lebten, herrschte extreme Wasserknappheit. Hiervon waren vor allem Frauen und Mädchen betroffen, die auf der Suche nach Wasser weite Strecken zurücklegen mussten. Die Menschen mussten sich mit Haus- und Wildtieren das schlammige Wasser aus natürlichen Wasserlöchern und Teichen teilen, das nicht zum Trinken geeignet war.
Die Wasserknappheit sorgte außerdem für die schnelle Verbreitung von hygienebedingten Krankheiten. Vor allem Kinder zeigten Anzeichen von Krätze und Hautkrankheiten, weil sie sich nicht regelmäßig waschen konnten. Daher kratzten sie sich Tag und Nacht, oft mit Steinen und bis sie bluteten, um den Juckreiz wenigstens vorübergehend zu lindern.
Recht auf Gesundheit
Die Einschränkungen aufgrund der Coronapandemie verschärften die Folgen der jahrzehntelangen Unterfinanzierung staatlicher Dienstleistungen noch weiter. Dies zeigte sich am deutlichsten im Gesundheitswesen, das am Rande des Zusammenbruchs stand. Der dramatische öffentliche Hilferuf des Ärzt_innenverbandes Ordem dos Médicos de Angola blieb seitens des Staates ohne Reaktion. Im Durchschnitt starben allein in den Krankenhäusern von Luanda jeden Tag Dutzende Menschen. Ungeachtet der hohen Anzahl an Coronatoten waren laut Angaben des Ärzt_innenverbandes Malaria, Unterernährung, akute Durchfallerkrankungen, Medikamentenmangel und – aufseiten der medizinischen Fachkräfte – Überarbeitung die häufigsten Todesursachen. Die wirtschaftlichen und sozialen Auswirkungen der Pandemie führten zu einem exponentiellen Anstieg der Zahl von Krankenhauspatient_innen, dem die Krankenhäuser nicht gerecht werden konnten.
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