Niger

Hintergrund

Niger ist ein frankophoner Staat in der Sahel-Zone, der keinen Meereszugang besitzt. Im Land existieren beträchtliche Uran-Vorkommen, die z.T. von französischen Firmen, vor allem vom Areva-Konzern in der Nähe von Arlit, abgebaut werden. Deutschland bezieht den größten Teil seines Uran-Bedarfs von dort. Areva streitet sich seit Jahren mit der nigrischen Regierung um eine Gewinnbeteiligung des Staates. Rebellen haben in den letzten Jahren immer wieder Anschläge und Entführungen in Arlit durchgeführt.

Niger gehört zu den ärmsten Staaten Afrikas, regelmäßig auftretende Nahrungskrisen treffen die Bevölkerung hart. Etwa 82 % der Bevölkerung lebten 2017 in absoluter Armut. Niger hat das größte Bevölkerungswachstum der Welt, eine nigrische Frau hat im Schnitt 7,6 Kinder. Schätzungen zufolge wird sich die Bevölkerungszahl bis 2050 von 17,3 Millionen auf 78 Millionen erhöhen, was massive Probleme für die Ernährung des schon jetzt sehr armen Staates führen würde, der dazu immer mehr unter dem Klimawandel und der Ausbreitung der Wüste zu leiden hat. In 2020 hat sich durch die Corona-Pandemie die schon länger existierende Ernährungskrise im Niger noch einmal dramatisch  verschärft. Welche Konsequenzen die Pandemie langfristig hat lässt sich im Moment nur schwer einschätzen.

Mahamadou Issoufou, zuvor langjähriger Oppositionsführer, kam im März 2011 durch demokratische (?) Wahlen an die Macht. Er löste eine Interimsregierung von Militärs ab. Im März 2016 wurde Issoufou mit sehr großer Mehrheit für eine weitere Amtszeit wiedergewählt. In den Monaten nach den Wahlen wurden immer wieder Oppositionspolitiker und Persönlichkeiten der Zivilgesellschaft willkürlich festgenommen. Positiv ist dagegen hervorzuheben, dass Issoufou nach Beendigung seiner zwei verfassungsrechtlich vorgeschriebenen Amtszeiten nicht noch einmal angetreten ist. Im Februar 2021 kam es zu einer Stichwahl, wobei sich Mohamed Bazoum zum Sieger erklärte. Dieses Ergebnis wurde von der Opposition in Frage gestellt. Nach der Verkündigung der vorläufigen Wahlergebnisse kam es in verschiedenen Städten Nigers zu heftigen Unruhen, bei denen mindestens zwei Personen starben. Im Dezember 2020 kam es zu einer Festnahmewelle gegen politisch aktive Personen.

Im Juli 2023 kam es zu einem Putsch gegen die gewählte Regierung. Die nigrische Armee entmachtete den Präsidenten Mohamed Bazoum, verhängte zeitweise eine landesweite Ausgangssperre und erklärte alle Verfassungsorgane für suspendiert. Als Gründe für den Staatsstreich nannte die Militärjunta Sicherheitsbedenken und “schlechte Regierungsführung” des bisher amtierenden Präsidenten. Am 28. Juli erklärte sich General Abdourahmane Tiani zum Präsidenten des Rates und damit zum Staatsoberhaupt von Niger. Dieser wendete sich von den westlichen Partnerländern wie Deutschland, Frankreich und USA, mit denen bis dahin enge Kontakte bestanden, ab. Präsident Bazoum wurde des Hochverrats beschuldigt und wird mit seiner Familie im Präsidentenpalast festgehalten. ECOWAS reagierte mit vielen Sanktionen, diese wurde Anfang 2024 aber wieder aufgehoben.

Niger ist den wichtigsten UN-Menschrenrechtsabkommen beigetreten, unter anderem dem Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte, dem Internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte, dem Übereinkommen gegen Folter, dem Übereinkommen über die Rechte des Kindes und das Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau.

 

Menschenrechtssituation

Allgemein

Seit Gründung des Staates im Jahr 1960 gibt es Konflikte mit der im Norden lebenden Tuareg-Minderheit: Die Unterdrückung von Aufständen der MNJ (Mouvement des Nigériens pour la Justice) hat immer wieder zur Verletzung von Bürgerrechten im ganzen Land geführt, Journalist*innen und Aktivist*innen wurden festgenommen, die MNJ ihrerseits verübte blutige Anschläge gegen Militärposten und nahm zivile und militärische Geiseln. Im Oktober 2009 wurde allerdings ein Friedensabkommen zwischen der Regierung und Tuareg-Organisationen unterzeichnet. Unter Präsident Issoufou wird viel Geld ins Tuareg-Gebiet investiert, um es zu entwickeln.

Insgesamt wurde Niger lange Zeit von westlichen Staatsführern als Musterbeispiel für Demokratie in Westafrika gelobt, obwohl Menschenrechtsaktivist*innen und NGOs immer wieder darauf hinweisen, dass Niger wegen der zahlreichen Festnahmen und Repressionen gegen Medien und Journalisten weit davon entfernt ist ein funktionierender Rechtsstaat zu sein. Die Meinungs- und Versammlungsfreiheit waren schon lange eingeschränkt. In letzter Zeit kam es außerdem vermehrt zu Menschenrechtsverletzungen von Sicherheitskräften im Zusammenhang des Kampfes gegen den Terror.

Mit der Absetzung von Präsident Bazoum durch das Militär Nigers fand auch ein politischer Wandel im Land statt. Es kam in den vergangenen Monaten zu immer mehr Einschränkungen von Pressefreiheit, Meinungsfreiheit und Versammlungsfreiheit in Nige.r

Einschränkung der Pressefreiheit, Versammlungsfreiheit und Meinungsfreiheit

Auch wenn Niger seit 2010 ein vergleichsweise fortschrittliches Pressegesetz hat, nach welchem Vergehen von Journalisten nur mit Geldstrafe geahndet werden dürfen, kommt es immer wieder vor, dass dieses Gesetz umgegangen wird, indem nach anderen Vorwürfen gegen die Journalisten gesucht wird. Ein populäres Beispiel, das für viel Aufsehen sorgte, war Baba Alpha, der erst für ein Jahr wegen angeblicher Fälschung seines Passes festgehalten und dann nach Mali abgeschoben wurde.

Mehrere weitere Journalisten wurden seit 2014 wegen kritischer Berichterstattung vorübergehend in Polizeigewahrsam genommen, Zeitungen wurden geschlossen. Es kam immer wieder zu Verhaftungen von Journalist*innen und Aktivist*innen, die die Regierung kritisierten oder versuchen Fälle von Betrug und Korruption in Regierungskreisen aufzudecken. Besonders im Zusammenhang mit dem umstrittenen Gesetz 2015-36 war eine öffentliche Meinungskundegabe nur schwer möglich. Außerdem werden Bloggern und Journalisten die Telefonkarten entfernt oder gesperrt, einige wurden wie Baba Alpha aus dem Land verwiesen. Im Zusammenhang mit den Protesten im März 2018, wurde auch ein Fernsehsender ohne entsprechende schriftliche Unterrichtung oder polizeiliches Mandat geschlossen und die Journalisten wurden davon abgehalten das Gebäude zu betreten.

In Reaktion auf die Ausbreitung von Covid-19 wurde Artikel 31 eines Gesetzes für die Bekämpfung von Cyberkriminalität aus dem Jahr 2019, welches es verbietet Informationen in Umlauf zu bringen und zu verbreiten, die geeignet sind die öffentliche Ordnung zu gefährden, benutzt um Informationen über die Ausbreitung der Pandemie zu unterdrücken. Auch dies führte teilweise zu willkürlichen Inhaftierungen von Journalist*innen, die nur über die Pandemie berichteten.  Eine Auflistung und Einordnung der Verhaftungen und Einschränkungen auf der Basis des Gesetzes gegen Cyberkriminalität gibt es auf der französischen Amnesty-Seite. Im Mai 2020 beschloss die Nationalversammlung ein Gesetz, das die digitale Massenüberwachung von privaten Nachrichten erlaubt, um die nationale Sicherheit zu schützen. Dieses Gesetz hat das Potential die Meinungsfreiheit und die Persönlichkeitsrechte der nigrischen Bevölkerung völlig zu untergraben. Es existiert keine unabhängige Stelle, die die Ausführung des Gesetzes überwachen und gegebenenfalls Überschreitungen sanktionieren könnte.

In den Jahren 2018 und 2019 wurden auch viele Versammlungen verboten. Dabei wurden  Sicherheitsbedenken als Begründung angeführt, da die Versammlungen ein Ziel von terroristischen Anschlägen werden könnten und die Polizei nicht in der Lage wäre einen Angriff zu verhindern. Im März 2020 wurden außerdem Versammlungen mit über 1000 Teilnehmenden mit dem Verweis auf das Corona-Virus verboten. Im Dezember 2021 wurden fünf Mitglieder der zivilgesellschaftlichen Gruppe Tournons La Page-Niger für wenige Tage festgenommen, nachdem sie eine Veranstaltung zu der Situation der Menschenrechte in Niger organisiert hatten.

Laut Reporter ohne Grenzen (RSF) kommt es seit dem Militärputsch Ende Juli 2023 zu einem verstärkten Vorgehen gegen Medienschaffende. Immer wieder werden Journalistinnen und Journalisten angegriffen und es kommt öfters zu Einschränkungen der Pressefreiheit. Insbesondere direkt nach dem Putsch ging das Militär gewaltsam gegen Protestierende für die ehemalige Regierung vor und schränkte auch jegliche Aktivitäten von politischen Parteien ein.

Am 30.09.2023 ist die nigrische Journalistin und Bloggerin Samira Sabou von unbekannten Männer entführt worden und war mehrere Tage verschwunden. Am 13.10.2023 wurde bekannt, dass Sabou für acht Tage von der Kriminalpolizei festgehalten worden war. Sie wurde vorläufig wieder freigelassen. Der Vorwurf lautete, dass sie Daten veröffentlicht hätte, die die öffentliche Ordnung stören könnten.

Am 3. Oktober wurde Samira Ibrahim, eine Social-Media Social-Media-Nutzerin, auch bekannt als “Precious Mimi”, zu einer sechsmonatigen Bewährungsstrafe und einer Geldstrafe von XOF 300.000 (USD 479) wegen “Herstellung von Daten, die die öffentliche Ordnung stören könnten” verurteilt. Sie wurde angeklagt, nachdem sie in einem Facebook-Post erklärt hatte
dass Algerien sich geweigert habe den nationalen Rat für den Schutz des Vaterlandes anzuerkennen.

Boko Haram/ ISGS

Die nigerianische Terrororganisation Boko Haram operiert im Süden und Südosten Nigers, vor allem in der Region Diffa, mit Selbstmordanschlägen, bewaffneten Überfällen und anderen Gewalttaten. Die zivile Bevölkerung gerät immer wieder zwischen zwei Feuer – die Terroristen und den Zugriff der Sicherheitsbehörden auf Terroristenjagd. Vor allem 2015 kam es zu wiederholten Fällen von Zwangsvertreibungen mit Todesfolge, Tötungen und Einschränkungen der Bewegungsfreiheit an mehreren Orten – alles dies z.T. legitimiert durch regionales Notstandsrecht. Moussa Tchangari, Generalsekretär einer zivilgesellschaftlichen Organisation, wurde im Mai 2015 vorübergehend festgenommen, weil er Lebensmittel an einige Dörfer in Diffa ausliefern wollte. Im Januar und Mai 2015 deportierte die Armee Tausende von Flüchtlingen aus Nigeria, weil sie angeblich mit Boko Haram zusammen arbeiteten.

Die Konflikte eskalierten immer weiter, über die Jahre stieg die Zahl an Toten und Verletzten immer weiter an. Im Grenzdreieck zwischen Niger, Nigeria und dem Tschad gibt es aufgrund der Angriffe der Boko Haram große Flüchtlingsströme, die zwischen den Staaten hin-und herwandern. Viele kommen dabei auch bei der lokalen Bevölkerung unter. Seit 2019 wird im Südwesten des Landes, in der Region Tillabéri, die Gruppe ISGS (Islamic State in Greater Sahara)  immer aktiver. Diese Gruppe tötete wiederholt Zivilisten, entführte Personen und überfiel Dörfer und Fahrzeuge.  Knapp 250.000 Heimatvertriebene befanden sich im Juli 2019 in der Region Diffa, davon über 100.000 aus dem Niger, der Rest kommt aus den Nachbarländern, vor allem aus Nigeria.

In Niger waren die Zivilbevölkerung und Mitarbeitende von humanitären Hilfsorganisationen seit 2020 wieder verstärkt Ziel der Angriffe bewaffneter Gruppen wie ISGS. Im Jahr 2020 wurden in der Region Tillaberi auch mehrmals Mitarbeitende von Hilfsorganisationen entführt oder getötet. Auch im Jahr 2021 eskalierte der Konflikt weiter. ISGS führte eine Reihe von weiteren Attacken aus, bei denen auch immer wieder ZivilistInnen starben. Die meisten Angriffe finden dabei weiterhin in der Region Tillabéri statt. Bestätigt sind Angriffe in den Dörfern Tchoma Bangou and Zaroum Darey (103 getötete Zivilisten), bei Banibangou (53 Tote) und  Tillia (137 Tote, darunter viele Geflüchtete aus Mali). Andere Angriffe können nicht mit der Sicherheit den Dschihadisten zugeordnet werden. Unter den getöteten Menschen waren auch mindestens 60 Kinder.

2023 tötete eine lokale Miliz mindestens 17 Zivilist*innen der Fulani-Gemeinschaft in dem
Dorf Kandadji in der Region Tillabéri wegen des Verdachts auf Zusammenarbeit mit terroristischen Gruppen. Am 15. August wurden nach Angaben lokaler Quellen mindestens
mindestens 20 Zivilisten aus der Songhay-Gemeinschaft Gemeinschaft bei einem Angriff einer terroristischen Gruppe getötet.

Gewaltakte der Sicherheitskräfte

Im Kampf gegen die Boko Haram begehen nach verschiedenen Berichten auch die Sicherheitskräfte Nigers immer wieder Menschenrechtsverletzungen. Wiederholt gibt es Vorwürfe, dass die Anti-Terror-Einheiten teilweise Verdächtige ohne Verhandlung hinrichten würden. Da sich manchmal aber auch andere Gruppen als Sicherheitskräfte oder Polizisten ausgeben, sind diese Vorwürfe jedoch oft schwer zu überprüfen.

Im März und April 2020 wurden innerhalb von wenigen Tagen mehrere 100 Personen von (vermeintlichen) Sicherheitskräften in Haft genommen, wobei über 100 Personen seitdem nicht mehr gesehen wurden und die Behörden gegenüber den Angehörigen nicht in der Lage sind den Aufenthaltsort zu bestimmen. Infolgedessen befürchten die Angehörigen, dass diese Personen als Terroristen eingeordnet und hingerichtet wurden. Mehr Informationen zu diesen Vorfällen findest du im Bericht: “They executed some”, der sich weiter unten auf dieser Seite befindet.

Im September 2020 stellte die nationale Menschenrechtskommission des Landes fest, dass die Armee für 72 der verschwundenen Personen verantwortlich ist und diese vermutlich ohne Gerichtsverfahren exekutiert wurden. Die Leichen der 72 Personen waren später in 6 Massengräbern gefunden worden. Das Schicksal der restlichen Personen ist noch immer unklar. Als Reaktion des Staates gab es zumindest einige Versuche die verantwortlichen Beamte zur Rechenschaft zu ziehen, doch bis Ende 2021 haben diese noch keine konkreten Ergebnisse hervorgebracht. Zur Prävention von Gewalteskalationen werden Menschrenrechtstrainings durchgeführt, über deren Inhalt und Umfang aber wenig bekannt ist. Deutschland ist an diesen Trainings auch teilweise beteiligt.

Im November 2021 wurde ein französischer Militärkonvoi in Tera von Protestierenden gestoppt. Der Protest eskalierte und drei Personen wurden von den Soldaten erschossen, um die Menge aufzulösen. Auch diese Vorfall wird untersucht.

In den Jahren 2022 und 2023 verschlechterte sich die Sicherheitslage weiter. Immer wieder kommt es zu Angriffen auf die Zivilbevölkerung. In einigen Fällen werden diese auch Sicherheitskräften oder Milizen zugeschrieben. Eine genaue Zuordnung ist aber oft schwierig, da die Fälle oft nicht weiter verfolgt werden. In Niger wurden bei einem Luftangriff der nigerianischen Armee in der Grenzregion Maradi im Februar sieben Kinder getötet. Der nigrischen Armee wurde vorgeworfen, im Oktober bei Luftangriffen rechtswidrig Personen getötet zu haben, die in der Nähe von Tamou Gold schürften.

Sklaverei

Sklaverei ist in Niger ein weitverbreitetes Phänomen geblieben, obwohl diese Praxis seit der Einführung des neuen Strafrechts im Jahre 2003 unter Strafe gestellt wurde. Niger war das erste Land überhaupt, das im Jahr 2015 das Protokoll zum Zwangsarbeitsabkommen der ILO gegen moderne Sklaverei unterzeichnete. Insgesamt kooperiert Niger sehr viel auf diesem Gebiet, unter anderem auch mit dem entsprechenden Sonderberichterstatter der UN.

Vor allem rund um die Minen und Bergarbeiten im Niger gibt es den starken Verdacht Sklaverei und der Ausbeutung, Maßnahmen gegen diese Probleme gestalten sich nach Aussagen der Regierung von Niger jedoch sehr schwierig.

Wie viele Sklaven es tatsächlich in Niger gibt, ist schwer bis gar nicht feststellbar. Die Bertelsmann Stiftung ging in ihrer Schätzung von 43.000 betroffenen Personen aus.

Bedingungen in Hafteinrichtungen

Seit dem Militärputsch von Februar 2010 blieben etliche Angehörige des alten Regimes viele Monate ohne formelle Anklageerhebung in Haft. Dies gilt auch für Militärs, denen Verschwörung gegen die neue Zivilregierung zur Last gelegt wurde. Mutmaßliche Mitglieder von AQIM und Boko Haram (s. oben) werden offenbar von den Sicherheitskräften gefoltert, um Geständnisse zu erpressen. Abgesehen davon sind viele Gefängnisse überfüllt, teilweise sind nach Berichten von ehemaligen Gefangenen, Anwälten und Besucher drei bis vier Mal so viele Personen in einer Haftanstalt als vorgesehen, auch wenn nach offiziellen Angaben die Gefängnisse insgesamt nicht überbelegt sind. 2014 sind einige Gefangene auch wegen fehlendem Zugang zu medizinischer Hilfe gestorben.

Im Zuge der Präventionsmaßnahmen gegen die Ausbreitung von Covid-19 wurden im März 2020 über 1500 Gefangene aus den Gefängnissen entlassen, unter anderem auch Oppositionsführer Hama Amadou und einige weitere politische Gefangene. Viele Menschenrechtsaktivisten wurden aber im Rahmen dieser Maßnahmen auch nicht frei gelassen und befinden sich immer noch in Haft. Außerdem wurde im März 2020 das Besuchsrecht für drei Monate ausgesetzt, ebenfalls als Teil der Covid-19-Prävention, sodass zu diesen Aktivisten kein regulärer Kontakt mehr besteht.  Weder die Familien noch die Anwälte haben daher Zugang zu ihnen. Inhaftierte Personen sind außerdem einem besonders hohen Risiko ausgesetzt mit Covid-19 anzustecken, weshalb der UN-Unterausschuss zur Verhütung von Folter auch alle Staaten aufgefordert hat alle Fälle von Untersuchungshaft zu überprüfen und Personen, die nicht wegen schwerer Verbrechen in Haft sitzen gegen Kaution freizulassen.

Todesstrafe

Niger hat die Todesstrafe zwar nicht abgeschafft, aber es gab lange Zeit einen Hinrichtungsstopp. Die letzte Hinrichtung fand 1976 statt.

Seit 2022 kam es aber wieder zu einem Anstieg an Todesurteilen, 4 Personen wurden zu dieser Strafe verurteilt, im Jahr 2023 kam es zu einem weiteren Anstieg auf 8 Todesurteilen.

Rüstung

Niger hat die wichtigsten Abkommen zur Abrüstung und Rüstungskontrolle unterschrieben. Da die Lage sich bezüglich der Boko Haram in den letzten Jahren immer weiter verschlechterte und Niger keine eigene Rüstungsindustrie hat, wurden viele Rüstungsgüter importiert.

Auch Deutschland hat seit 2015 Rüstungsgüter im Wert von über 4 Millionen Euro in den Niger exportiert, hauptsächlich Flugkörperabwehrsysteme und militärische Geländewagen und LKW.  Allein Rüstungsexporte im Wert von 3,6 Millionen Euro fanden im Jahr 2018 im Rahmen der Ertüchtigungsinitiative der Bundesregierung statt.

Frauen- und Mädchenrechte

Niger hat bisher nicht die finalen Empfehlungen des Berichts aus dem Jahr 2019 des UN-Menschenrechtsausschusses umgesetzt, wonach die Abtreibungsgesetze geändert werden sollten, um einen sicheren Zugang zur Abtreibung für Frauen und Mädchen zu ermöglichen. Abtreibung wird in Niger noch immer stark kriminalisiert und ist nur in extremen Fällen erlaubt, wenn das Leben der Frau in großer Gefahr ist.

Auch wenn die Regierung einen Akt gegen weibliche Genitalverstümmelung erlassen hat, diese seit 2003 unter Strafe steht und es in den vergangen Jahren sehr viele Aktionen zur Aufklärung gab, gibt es immer noch viele Regionen in Niger, wo diese Praktiken durchgeführt werden. In den letzten Jahren gab es aber auch einige Gemeinschaften die die Praxis der Genitalverstümmelung von sich aus beendet haben.

Kinderheirat ist nach wie vor weit verbreitet. Das gesetzliche Mindestalter für die Heirat
blieb für Mädchen bei 16 Jahren, trotz der Zusage Nigers während der UPR 2021, das Mindestalter auf 18 anzuheben. Nach Angaben des nigrischen Instituts Institut für nationale Statistik werden mehr als drei von vier vier Frauen in Niger verheiratet, bevor sie
18 Jahre alt werden. Im März nahm sich Nazira, ein 16-jähriges Mädchen aus Daré in der Gemeinde Matameye, Region Zinder, ihr Leben, um einer Zwangsheirat zu entgehen.

Eine neue Welle an Gewalt gegen Mädchen und Frauen begann aufgrund des Erstarkens der islamistischen Gruppen im Land. Teilweise wurden sie, vor allem in der Tillabéri-Region, entführt und zwangsverheiratet. Ihr weiteres Schicksal ist unbekannt. Es gibt aus dieser Region auch Berichte über Frauen, die geschlagen wurden, da sie sich nicht richtig gekleidet haben. Im April 2021 wurden drei Frauen und Mädchen von Soldaten der G5-Truppe vergewaltigt.

In der Woche nach dem Staatsstreich wurden mindestens vier Frauen von jugendlichen Ordnungshütern vergewaltigt. Keiner der Täter wurde bis Ende 2023 wegen dieser Straftaten angeklagt.

Wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte

Der UN-Ausschuss für die Beseitigung der Diskriminierung der Frau äußerte sich 2017 besorgt darüber, dass 82 % der Bevölkerung in absoluter Armut lebten. Frauen litten besonders unter der unsicheren Ernährungslage in den ländlichen Regionen. Verantwortlich dafür waren u. a. ihr sozioökonomischer Status, die Auswirkungen des Klimawandels und die Rohstoffindustrie. Der Ausschuss kritisierte außerdem, dass zeitlich befristete Maßnahmen, die für mehr Geschlechtergerechtigkeit sorgen sollten, nicht ausreichend umgesetzt wurden. Dies betraf z. B. die Bereiche Beschäftigung, Bildung und Gesundheit.

Die humanitäre Lage verschärfte sich aufgrund des bewaffneten Konflikts. Nach Schätzungen der Vereinten Nationen benötigten 2,2 Mio. Menschen humanitäre Hilfe, davon 408.000 Menschen allein in der Region Diffa. Schätzungsweise 1,8 Mio. Menschen waren von ernster Ernährungsunsicherheit betroffen. Mehr als 73 % der Kinder unter fünf Jahren und fast 46 % der Frauen im gebärfähigen Alter litten unter Blutarmut. Konflikte und Klimaereignisse verschärften die Ernährungsunsicherheit und Wasserknappheit, etwa 2,5 Millionen
Menschen sind nach Angaben von UNICEF betroffen.

Besonders Kinder leiden unter dem bewaffneten Konflikt. Einige islamistische Gruppen versuchen gezielt Kinder und Jugendliche zu rekrutieren, andere Gruppen haben in den Jahren 2020/2021 unter anderem auch Kinder im Rahmen von Vergeltungsaktionen hingerichtet. Die Überlebenden leiden oft unter schweren physischen und psychischen Schäden.

Im Rahmen der Covid-19 Pandemie versäumte es die Regierung die Gesundheitshelfer*innen mit ausreichender Schutzausrüstung auszustatten, obwohl diese angekündigt hatte, zusätzlich Personen für diesen Bereich zu rekrutieren. Diese Einstellung ging aber nur schleppend voran. In einigen Regionen wurde auf der Grundlage des Notstandes die Benutzung von Motorrädern verboten, was dazu führte, dass Krankenhäuser und medizinische Hilfe für viele Personen aus entlegeneren Regionen nicht mehr so gut erreichbar waren. Auch das Gesundheitssystem in Tillabéri war teilweise Ziel von Angriffen durch islamistische Gruppen. Einige Gesundheitszentren mussten wegen Überfällen und Bedrohungen schließen.

Recht auf Bildung

Der bewaffnete Konflikt hat das Recht auf Bildung stark beeinträchtigt. Im Juni waren fast 958 Grundschulen geschlossen oder außer Betrieb, davon 891 in der Region Tillabéri. Diese Schulschließungen wirkten sich auf das Recht auf Bildung von mehr als 81.500 nigrischen Kindern aus. Mehr Informationen zu dem Thema finden Sie hier. Nach Angaben von UNICEF, besucht etwa die Hälfte der Kinder zwischen 7 und 16 Jahren in Niger nicht die Schule.

Umweltrecht

Insbesondere rund um die Minen in Niger gibt es aufgrund der Folgen für die Umwelt immer ein hohes Konfliktpotenzial. Die Bevölkerung klagt immer wieder über die weitreichende Verwendung der knappen Wasserressourcen in der Industrie. Außerdem kommt es zu Verschmutzungen des Wassers und des Bodens in unmittelbarer Nähe der Minen. Bergbauunternehmen wie SOMINA wird vorgeworfen die Umweltschutzregeln bewusst nicht einzuhalten. Auch unabhängig von diesen Problemen, kommt es nach Berichten der Zivilgesellschaft zu immer mehr Spannungen vor dem Hintergrund der zunehmenden Wasserknappheit, auch zwischen Unternehmen und der lokalen Bevölkerung Nigers.

Auch die Verschmutzung durch Plastikmüll ist ein großes Problem im Niger. An den Folgen der Umweltverschmutzung sterben auch immer wieder Tiere, worunter insbesondere die Nomaden leiden, die von der Haltung dieser Tiere abhängig sind.

Umgang mit Migranten

Die Transsahara-Flüchtlingsroute, die für westafrikanische Flüchtlinge die mit Abstand am meisten genutzte ist, führt durch Niger. Ende 2015 ging man von 115.000 Ausgewanderten aus Nachbarländern in Niger aus – vor allem aus Nigeria und Mali. Weitere ca. 100.000 Binnenflüchtlinge, vor allem wegen des Konfliktes mit Boko Haram, waren z.T. in großer Not. Drehscheibe für den Transit ist nach wie vor die Stadt Agadez, deren Wirtschaftsstruktur inzwischen völlig auf die Belange der Migranten ausgerichtet ist und daher sogar von ihr profitierte. Insgesamt war das Geschäft mit den Migranten einer der wenigen Wirtschaftszweige in Niger, die wirklich rentabel waren.

Die Regierung von Niger hatte daher kein großes Interesse an der Regulierung der Migration, bis die offensive Migrationspolitik der EU sie schließlich dazu veranlasste mit dieser zusammenzuarbeiten. Im Mai 2015 wurde das Gesetz 2015-36 verabschiedet, das Menschenschmuggel und Schleppertum unter Strafe stellt, erst seit 2016 wird es jedoch konsequent umgesetzt. Seitdem fangen die Sicherheitsbehörden von Niger und der G5-Gruppe (dessen Staatssekretär seit Februar 2018 auch Mahmadou ist) immer mehr Migranten ab und haben die Grenzüberwachung ausgebaut. Die Fahrer, die Migranten Richtung Norden bringen, werden systematisch verhaftet und ihre Autos beschlagnahmt. Es droht bis zu 30 Jahre Freiheitsentzug. Tausende Menschen im Norden des Landes verloren ihre Existenzgrundlage, es wurde auch keine alternative Erwerbsmöglichkeit angeboten.

Einige lokalen Offiziellen sehen darin eine Kriminalisierung des Transportwesens und eine Diskriminierung der einheimischen Bevölkerung und werfen der Regierung vor, dass sie die Gesetze nur auf Druck der EU beschlossen habe. Besonders die große Anzahl an jungen Menschen rund um Agadez, aber auch in Dirkou und Arlit leiden sehr unter diesen Entwicklungen, die negative Folgen für die Wirtschaft, die Gesellschaft und die innere Sicherheit in den Regionen haben, die zuvor von der Migration profitierten.

Die Kooperation zwischen Niger und der EU wurde dabei immer weiter ausgebaut, um zusammen gegen Menschenschmuggel und Terrorismus zu kämpfen. Einige Jahre lang war Niger das Kernland in Westafrika, über das die EU versuchte, die Migration nach Europa zu reduzieren bzw. zu verhindern. Die Stellung von Niger als wichtiger Partner hatte auch zur Folge, dass die oben genannten Menschenrechtsverletzungen teilweise nicht von der EU kritisiert wurden. Nach Angaben der Internationalen Organisation für Migration (IOM) sind nur noch etwa 70.000 Migranten von Januar bis Juli 2017 in Niger eingereist, nur etwas mehr als die Hälfte wurde jedoch an der Nordgrenze wieder bei der Ausreise registriert. Dies hängt vermutlich auch damit zusammen, dass wegen dem Gesetz gegen Menschenschmuggel aus dem Jahr 2015 die Fahrer nicht mehr die Straßen benutzen können und deshalb direkt durch die Wüste fahren, wo es dann zu Unfällen kommt, die Fahrer sich verirren oder aus Angst vor den Kräften der G5-Truppe die Migranten mitten in der Wüste ausgesetzt werden. Allein in der Zeitspanne zwischen April und Juli 2017 wurden mindestens 600 Migranten in der Wüste von Niger aufgefunden, wobei mindestens 150 tot oder dem Tod nahe waren, da sie in der Wüste ausgesetzt wurden oder einen Unfall hatten. Man kann also sagen, dass die Kriminalisierung der Migration und der verstärkte Grenzschutz dazu führten, dass Schleuser und Migranten noch gefährlichere Fluchtrouten wählen, die dann auch noch häufiger zum Tod führen. Der UNHCR schätzt das etwas doppelt so viele Menschen bei der Durchquerung in der Sahara sterben wie bei der Überquerung des Mittelmeers. Die genaue Zahl ist aber schwer zu bestimmen, da mutmaßlich viele Tote nie gefunden wurden.

Das Gesetz wurde im Dezember 2023 von der Militärregierung aufgehoben.

Amnesty Reports zur Menschenrechtslage in Niger

Amnesty Report 2023 Englisch

Amnesty Report 2021 Englisch

Amnesty Report 2020 Deutsch

Amnesty Report 2020 Englisch

Amnesty Report 2018 zur Menschenrechtslage in Niger

Amnesty Report 2017 zur Menschenrechtslage in Niger

Weitere Berichte

I have nothing left except myself – Bericht über Gewalt gegen Kinder im Tillabéri-Konflikt

They executed some Bericht über Willkür der Soldaten

Aktuelle Beiträge zu Niger

Ansprechpartner:

Lukas Granrath, Lukas.Granrath@amnesty-westafrika.de

20. Juni 2024